Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Teufelszeug

Teufelszeug

Titel: Teufelszeug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joe Hill
Vom Netzwerk:
Terry. Sein älterer Bruder musste den Hals recken, um das Mädchen sehen zu können. Er musterte sie ausgiebig - sie hatte ihnen wieder das Gesicht zugewandt - und flüsterte dann laut: »Tut mir leid, Ig. Keine Chance.«
    Lydia versetzte ihm mit dem Gesangsbuch einen Schlag auf den Hinterkopf.
    »Verdammt, Ma«, sagte Terry, worauf sie ihm einen weiteren Klaps gab.
    »Das Wort will ich nicht wieder hören«, flüsterte sie.
    »Warum schlägst du nicht Ig«, flüsterte Terry. »Schließlich glotzt er die kleine Rothaarige so lüstern an. Er hat ein begehrendes Auge auf sie geworfen. Schau ihn dir doch an!«
    »Es heißt begehrlich«, sagte Derrick.
    Igs Mutter sah ihn an, und das Blut schoss ihm in die Wangen. Dann blickte sie zu dem Mädchen hinüber, die ihnen keinerlei Beachtung schenkte, sondern so tat, als wäre sie nur an Father Mould interessiert. Lydia rümpfte die Nase und wandte sich wieder der Stirnseite der Kirche zu.
    »Schon in Ordnung«, sagte sie. »Ich hatte bereits befürchtet, dass er schwul ist.«
    Und dann war es an der Zeit zu singen. Alle standen auf, und Ig schaute wieder zu dem Mädchen hinüber, das sich gerade erhob und in helles Sonnenlicht getaucht war. Eine Feuerkrone senkte sich auf ihr gebürstetes, leuchtendes Haar. Sie wandte sich um und sah ihn wieder an, aber als sie den Mund aufmachte, um zu singen, stieß sie stattdessen
einen leisen Schrei aus. Sie hatte ihm mit dem Kreuz wieder Blitzzeichen geben wollen, aber das Goldkettchen hatte sich gelöst und war ihr in die Hand gefallen.
    Ig beobachtete, wie sie sich vorbeugte, um zu sehen, was kaputt war. Dann geschah etwas, was ihm überhaupt nicht gefiel. Der gut aussehende blonde Junge hinter ihr streckte den Arm aus und hantierte unbeholfen an ihrem Nacken herum. Er wollte ihr helfen, die Halskette wieder zu schließen. Sie zuckte zusammen, trat einen Schritt weg von ihm und warf ihm einen erschrockenen, nicht besonders freundlichen Blick zu.
    Der Blonde wurde nicht rot und wirkte auch sonst nicht verlegen. Er sah gar nicht wie ein Junge aus, sondern eher wie eine klassische Statue. Seine Gesichtszüge waren die eines jungen, ein wenig mürrischen Caesar, und er strahlte eine ernste, unheimliche Gelassenheit aus - jemand, der nur den Daumen nach unten drehte, um aus einer Bande blutüberströmter Christen Löwenfutter zu machen. Jahre später würde sein Haarschnitt - seine blonden Stoppeln waren so kurz geschnitten, dass sie fast weiß wirkten - dank Marshall Mathers sehr populär werden, aber zu jener Zeit wirkte er sportlich und unauffällig. Außerdem trug er eine Krawatte, was ziemlich elegant aussah. Er sagte etwas zu dem Mädchen, aber sie schüttelte nur den Kopf. Ihr Vater beugte sich herüber, schenkte dem Jungen ein Lächeln und versuchte sich selbst an der Halskette.
    Ig atmete auf. Caesar hatte einen taktischen Fehler begangen; er hatte sie berührt, als sie es nicht erwartete, und damit verärgert, anstatt sie mit seinem Charme zu beeindrucken. Der Vater des Mädchens hantierte eine Weile mit der Halskette herum, aber schließlich lachte er und schüttelte den Kopf, weil er es auch nicht hinbekam, und sie
lachte auch und nahm sie ihm ab. Ihre Mutter warf den beiden einen wütenden Blick zu, worauf das Mädchen und ihr Vater wieder in den Gesang einstimmten.
    Die Messe ging zu Ende. Ein allgemeines Murmeln setzte ein und verdrängte die Stille wie Wasser, das eine Wanne füllte - als hätte die Kirche ein Volumen mit einem bestimmten Fassungsvermögen. Da Mathe Igs bestes Fach war, dachte er reflexartig in Begriffen wie Volumen, Konstanten und, vor allem, Absolutwerten. Die Begabung für Ethik, die sich ebenfalls bei ihm herausstellte, hatte möglicherweise mit denselben Fähigkeiten zu tun, die es ihm ermöglichten, Gleichungen zu durchschauen und Zahlen nach seiner Pfeife tanzen zu lassen.
    Er hätte gern mit dem Mädchen geredet, wusste aber nicht, was er sagen sollte, und dann hatte er die Gelegenheit auch schon verpasst. Sie trat zwischen den Kirchenbänken hervor, sah zu ihm herüber und schenkte ihm ein überraschend schüchternes Lächeln, doch da ragte schon der junge Caesar neben ihr auf und sprach sie an. Ihr Vater schritt abermals ein, gab ihr mit einem Stupser zu verstehen, sie solle weitergehen, und schob sich unauffällig zwischen sie und den Juniorkaiser. Er lächelte dem Jungen offen und freundlich zu, doch während er redete, achtete er darauf, dass die Entfernung zwischen ihm und seiner Tochter immer

Weitere Kostenlose Bücher