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Teufelszeug

Teufelszeug

Titel: Teufelszeug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joe Hill
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natürlich konnte er nicht einfach mit ihr reden. Sie hatte in Lichtblitzen zu ihm gesprochen, und er hatte das Gefühl, dass er ihr auf dieselbe Weise antworten musste.
    Lee sah sich alles an, und sein Blick huschte hierhin und dorthin, bis er schließlich an den vier Chromtürmen mit CDs hängen blieb, die an der Wand standen. »Das ist eine Menge Musik.«
    »Komm rein.«
    Lee schlurfte, wie vom Gewicht der tropfnassen Segeltuchtasche gebeugt, in das Zimmer.
    »Setz dich«, sagte Ig.
    Lee setze sich auf den Rand von Igs Bett, und die Daunendecke saugte sich sofort voll Wasser. Er verdrehte den Kopf und starrte die CD-Türme an.
    »So viele CDs hab ich noch nie auf einem Haufen gesehen. Außer vielleicht im Plattenladen.«
    »Was hörst du denn gern?«, fragte Ig.

    Lee zuckte mit den Achseln.
    Das war seltsam. Jeder hörte irgendetwas.
    »Was für Alben hast du?«, fragte Ig.
    »Keine.«
    »Gar keine?«
    »Hat mich irgendwie nie interessiert«, sagte Lee ruhig. »CDs sind teuer, oder?«
    Ig war völlig verblüfft, wie jemand sich nicht für Musik interessieren konnte. Das war, als interessierte man sich nicht für Glück; oder wäre farbenblind. Dann drang zu ihm durch, was Lee noch gesagt hatte - CDs sind teuer, oder? -, und zum ersten Mal kam er auf den Gedanken, dass Lee kein Geld hatte, das er für Musik ausgeben konnte. Ig musste an Lees nagelneues Mountainboard denken - aber das hatte er bekommen, weil er so viele Zeitschriften verkaufte. Und dann seine Krawatten und kurzärmeligen Anzughemden - aber wahrscheinlich wollte seine Mutter, dass er adrett und solide aussah, wenn er mit seinen Zeitschriften loszog. Die Kinder von armen Leuten putzten sich oft heraus. Es waren die Kinder reicher Eltern, die sich schlampig kleideten und darauf achteten, wie Arbeiter auszusehen: Designer-Jeans für achtzig Dollar, die schon beim Kauf verblichen und zerrissen waren, und abgetragene Abercrombie & Fitch -T-Shirts von der Stange. Außerdem trieb sich Lee mit Glenna und ihren Freunden herum, die in einer Wohnwagensiedlung lebten; Kinder, deren Eltern Mitglieder im Country Club waren, hingen nicht am Sonntagnachmittag in der Gießerei herum und fackelten Hundescheiße ab.
    Lee zog eine Augenbraue hoch - und hatte plötzlich wieder etwas von Spock. Offenbar war ihm nicht entgangen, wie überrascht Ig war. »Was hörst du denn so?«, fragte er.

    »Ich weiß nicht. Alles Mögliche. In letzter Zeit steh ich total auf die Beatles.« Eine leichte Untertreibung - immerhin schwärmte er schon seit sieben Jahren für die Jungs aus Liverpool. »Magst du die?«
    »Keine Ahnung. Was machen die denn so für Musik?«
    Die Vorstellung, irgendjemand könnte noch nicht von den Beatles gehört haben, verschlug Ig die Sprache. »Na ja …«, sagte er, »… es sind eben die Beatles. John Lennon und Paul McCartney.«
    »Ach, die«, sagte Lee, aber Ig kapierte sofort, dass es ihm peinlich war und er nur so tat, als würde er sie kennen. Und allzu große Mühe gab er sich dabei auch nicht.
    Ig sagte nichts, sondern ging zu seinen CD-Ständern hinüber, betrachtete seine Beatles-Sammlung und überlegte, womit Lee anfangen sollte. Erst dachte er an Sgt. Pepper und streckte schon die Hand danach aus. Aber dann fragte er sich, ob Lee wirklich Gefallen daran finden würde oder ob ihn die ganzen Trompeten und Akkordeons und Sitar nicht irritieren würden, ob ihn die verrückte Mischung verschiedener Stile nicht abturnen würde, die Rockeskapaden, die nahtlos in englische Kneipenlieder übergingen und dann in sanfte Jazznummern. Wahrscheinlich würde ihm etwas leicht Verdauliches besser gefallen, eine Abfolge klarer, eingängiger Melodien, etwas, was als Rock wiedererkennbar war. Das Weiße Album also. Andererseits, wenn man sich das Weiße Album einfach so anhörte, war das, als würde man sich die letzten zwanzig Minuten eines Films anschauen. Der Handlung könnte man schon irgendwie folgen, aber man wüsste nicht, wer die ganzen Leute waren und warum sie einen kümmern sollten. Denn eigentlich waren die Beatles eine Geschichte. Wenn man sie sich anhörte, war das, als ob man ein Buch las. Man musste mit Please
Please Me anfangen. Ig zog den ganzen Stapel heraus und legte ihn aufs Bett.
    »Das ist’ne ganze Menge, was ich mir da anhören soll. Wann willst du sie wiederhaben?«
    Ig hatte nicht vorgehabt, ihm die CDs zu schenken, bevor Lee ihm diese Frage stellte. Lee hatte ihn aus der tosenden Finsternis gezogen und ihm die Luft in die Lunge

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