THARKARÚN – Krieger der Nacht
an. »Wie haben sie in so kurzer Zeit so viel Macht erlangen können? Und wie …« Er schüttelte den Kopf und fuhr sich mit der Hand über die Stirn. »Lassen wir das. Es ist sinnlos, sich Fragen zu stellen, wenn man keine Antworten erhalten kann, das sollten wir immer im Kopf behalten. Kehren wir zu unserer Partie zurück.«
Lisannon schaute ihn bestürzt an. Die Ankunft des Boten, sein Bericht und die Bedrohungen, von denen er gesprochen hatte, hatten ihn das Spielbrett auf dem Tisch natürlich vergessen lassen, und jetzt betrachtete er es wie einen Fremdkörper. Er starrte das Spielbrett an, dann Allan Sirio. Lisannon lachte nervös auf. »Soll das ein Witz sein?«, fragte er. »Meint Ihr, wir könnten einfach so weiterspielen, nach allem, was wir gerade gehört haben? Nein, Ihr müsst scherzen.«
»Keineswegs«, erwiderte Sirio. »Man sollte alles zu Ende bringen, was man einmal angefangen hat, sogar ein Spiel. Man sollte das Unwichtigste mit dem gleichen Ernst behandeln wie die wirklich wichtigen Dinge. Befreit Euren Verstand von den Sorgen, Lisannon. Macht den Kopf leer, konzentriert Euch und spielt.«
Er schien dazu entschlossen und so erhob Lisannon keine weiteren Einwände. Er beugte sich über den Tisch mit dem Spielbrett und versuchte, sich den nächsten Zug zu überlegen. Dabei war ihm bewusst, dass Sirios dunkle, weise Augen auf ihm ruhten. Lisannon hatte den Verdacht, dass der kräuterkundige Meister weit weniger gelassen war, als er vorgab, und dass sich hinter seiner ruhigen Miene Sorgen zusammenbrauten.
Ardrachan hatte man in der Mitte der achteckigen Waffenkammer hoch oben im Turm von Adamantina an Hand- und Fußgelenken
gefesselt. Die Nischen, die die von Kentar geschmiedeten Waffen enthalten hatten, waren leer. Die Waffen hingen nun an den Gürteln und Riemen der Gefährten der acht Reiche, und nur die beiden für Ardrachan bestimmten Kurzschwerter lagen mit überkreuzten Klingen neben ihm. Wie immer schimmerte das Licht in der Waffenkammer golden und unwirklich. Im Hintergrund des Raumes lag Fèlruc mit leicht erhobenen Flügeln, rechts von ihm stand Dan Ree, zu seiner Linken der Magus.
Der hatte seine verzierte Lanze von der Schulter genommen und hielt sie nun mit festem Griff in der Faust. Dan Ree hatte ein Langschwert mit einem Bronzegriff gezückt, dessen Knauf wie ein Totenkopf geformt war. Es schien sehr alt zu sein, obwohl die Klinge scharf geschliffen war, und Morosilvo glaubte ganz sicher, es müsse sich um die Waffe handeln, mit der der größte Krieger der acht Reiche seinen Zweikampf mit Kentar ausgefochten hatte.
Niemand in ihrer kleinen Gruppe wusste genau, was der Magus und Dan Ree vorhatten und wie sie den Feenkrieger vom Wahnsinn befreien wollten. Alle warteten gespannt. Ardrachan war bei Bewusstsein, aber er rührte sich nicht; er wehrte sich nicht mehr, seit Fèlruc sich zu ihm umgewandt und warnend seine Nüstern gebläht hatte. Jetzt starrte er mit weit aufgerissenen Augen an die Decke und hatte wieder dieses leere Lächeln auf den Lippen, das er schon in den ersten Tagen ihrer Reise gezeigt hatte.
Morosilvo hielt das Warten kaum noch aus. Er hatte schon ein paar Mal rasch zu Thix Velinan geschaut, der rechts von ihm stand und mit nichts zu erkennen gab, dass er es bemerkt hatte, und dann zu Pelcus zu seiner Linken, den er schon wieder dabei ertappte, wie er seine Börse öffnen wollte. Er hatte den Zwerg wütend angefunkelt, woraufhin der in aller Gemütsruhe seine Hand zurückgezogen und so getan hatte, als wäre nichts passiert. Alle standen da und warteten, sahen abwechselnd Ardrachan,
den Magus und den Wächter von Adamantina an, der jetzt sein Schwert hoch über den Kopf des Feenmanns hielt.
»Im Namen von Talon, Herr über die dunklen Künste, und von Anman, der über alle Gesetze der Welt herrscht«, sagte er in einem so alltäglichen Ton, dass es diesem feierlich-gespannten Moment nicht gerecht zu werden schien. »Ich befreie dich, Ardrachan Caleth.«
Die Klinge leuchtete nun ein wenig auf, und Morosilvo bemerkte, dass Ardrachan seine Finger verkrampfte und dass an seinem Hals eine Ader pulsierte, doch seine ausdruckslosen Augen waren immer noch zur Decke gerichtet. Einen kurzen Moment lang verharrte jeder erwartungsvoll. Dann schrie der Magus: »Jetzt!«
Seine Stimme tönte noch lauter als sonst, so gebieterisch, dass es niemandem gelungen wäre, sich seinem Befehl zu widersetzen. Sie donnerte wie ein Vulkanausbruch oder ein Bergrutsch. Ein merkwürdiges
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