THARKARÚN – Krieger der Nacht
lange in Carith Shehon weilten, hatte ihr Aufenthalt Alfargus Sulpicius gelehrt, Sonnenuntergänge zu hassen. Früher hatte sein feuriges Temperament den Gedanken, vor dem flammenden Hintergrund der sinkenden Sonne zu kämpfen, sehr reizvoll gefunden. Doch jetzt empfand er nur tiefste Übelkeit, während er an die Mauer gelehnt verfolgte, wie die letzten Sonnenstrahlen den Horizont in Gold und Violett tauchten.
Elirion stand neben ihm und bespannte gedankenversunken den neuen Bogen; der treue Herg verharrte reglos wie eine Statue hinter ihm. Huninn Skellensgard und Ulf Ghandar hatten die Truppen in Reih und Glied aufmarschieren lassen. Keiner von ihnen zweifelte daran, dass das Gefecht mit dem Untergang der Sonne beginnen und dass es diesmal zur entscheidenden Schlacht kommen würde. Die anderen hatten zwar die Worte des geheimnisvollen Tharkarún nicht gehört und konnten deshalb nur Vermutungen anstellen, doch Alfargus, dem Einzigen, der ihre ganze schreckliche Wahrheit kannte, gingen sie nicht aus dem Kopf. Genauso musste es sein, dachte er, wenn ein zum Tode Verurteilter in seinen Ohren immer wieder das Echo des Urteils hörte, jenes Urteil, das ihm jede Hoffnung auf Leben versagte.
Bevor er an diesem Nachmittag Elirions Bogen aus der Waffenkammer abgeholt hatte, hatte er in aller Eile einen Brief an seine Schwester geschrieben, in dem er ihr die Wahrheit über
das ewige Versprechen enthüllte, das Gavrilus gegeben hatte. Er wusste genau, dass sein Vater es seiner Tochter lieber persönlich erklärt hätte, warum er Adilean zur Heirat mit Thix Velinan verdammte, aber er glaubte seiner Schwester gegenüber schon genug Schuld auf sich geladen zu haben und fühlte das dringende Bedürfnis, ihr dieses Schicksal anzukündigen. Eben jetzt, in diesen Augenblicken, die auch seine letzten sein konnten, war dieser Wunsch so stark geworden, dass er sich ihm nicht länger widersetzen konnte. Und außerdem brauchte seine Schwester dringend Unterstützung. Er hatte den Brief versiegelt und ihn durch einen Boten, einen Elbensoldaten, nach Astu Thilia verschickt. Er sollte in seinem Namen so schnell wie möglich alle acht Reiche durchqueren, ohne dass jemand davon erfuhr.
Die Zivilbevölkerung – die wenigen, die nicht schon aus freien Stücken die gefährdete Stadt verließen – hatte man auf seinen und Elirions Befehl nun eiligst evakuiert. Im Refugium der Wahrsager würden sie vielleicht eher in Sicherheit sein. Alfargus tröstete diese Aussicht nicht. Ihm schien es, als liefe die Zeit unaufhaltsam auf einen Schlusspunkt zu, der auch das Ende seines Lebens markieren würde. Und er ahnte, dass nichts, nicht einmal die magische Axt, die schwer über seiner Schulter hing, den Verlauf der Dinge noch ändern konnte.
Elirion legte ihm freundschaftlich eine Hand auf die mit dem Umhang bedeckte Schulter. Er trug die typischen dunklen Lederhandschuhe eines Bogenschützen und hatte seine langen blonden Haare im Nacken zusammengebunden. Man hätte ihn schwerlich für einen Prinzen gehalten; der Einzige dort auf den Mauern, der seinem Rang entsprechend gekleidet war, war Alfargus. Elirion trat neben ihn und flüsterte: »Sie kommen.«
Und so war es. Allen voran das Heer der Toten, das langsam vorwärtsschritt, ein schauerlicher Anblick. Dann die schrecklichen Gestalten der Gremlins, die in den trügerischen Schatten der herannahenden Dunkelheit auftauchten und wieder verschwanden.
Allerdings waren alle auf den Mauern vorbereitet und niemand ließ einen Mucks verlauten.
»Diesmal werden wir nicht hier auf den Mauern bleiben«, entschied Alfargus plötzlich. »Das bringt nichts, wir haben nicht einmal mehr die Bombarde der Zwerge, um sie aufzuhalten. Wir werden also hinuntersteigen, die Tore öffnen und versuchen, Mann gegen Mann gegen sie zu kämpfen oder zumindest bis zum Morgen durchzuhalten. Etwas anderes können wir nicht tun. Außer natürlich zu den Göttern zu beten, aber ich habe schon länger den Verdacht, dass sie uns nicht hören.«
Elirion enthielt sich jeglicher Kommentare. Er teilte Alfargus’ Meinung und hatte schon befohlen, Glutbecken in der Nähe der Tore zu entzünden, damit man das Feuer später gegen die Angreifer verwenden und die mit Sprengstoff versehenen Pfeile anzünden konnte. Er flüsterte Herg etwas zu, der daraufhin in der Menge der Truppen verschwand und kurze Zeit später wieder hinter seinem Gebieter auftauchte. Elirion hatte nicht gelogen, als er ihn beschrieben hatte: Etwas an seiner Art, sich
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