THARKARÚN – Krieger der Nacht
»Meinst du, hinter uns ist tatsächlich jemand?«, fragte er im Flüsterton.
Alfargus zuckte mit den Schultern, er schien nicht besorgt. »Selbst wenn da wirklich jemand wäre, bis hierher kann er nicht
kommen«, antwortete er und gab Dhannam einen aufmunternden Klaps auf den Rücken. »Kopf hoch, Brüderchen! Du siehst aus, als wärst du zu einer Beerdigung unterwegs. Aber Amorannon ist hier, ich bin hier, es kann dir also nichts passieren.«
Dhannam lächelte seinem Bruder etwas zaghaft zu. Vergeblich versuchte er Mut und Zuversicht auszustrahlen – er konnte seinen Blick einfach nicht von diesem Wald voller unbekannter Geräusche lösen und dachte im Stillen voller Sehnsucht an den Hof in Astu Thilia. Im Elbenreich würde er sich jetzt mit Sicherheit wohler fühlen.
Die Pferde setzten sich wieder in Bewegung, weiter ging es durch den dichten Wald. Nach kurzer Zeit tauchten die Häuser des Friedens auf, umgeben von einem Kupferzaun, der in der Sonne glänzte. Ein leichter Wind strich durch die Zweige der umstehenden Bäume. Die Fassaden der Häuser waren grün und braun gestrichen, eine gute Tarnung, denn so waren sie vor dem Unterholz zwischen den Bäumen kaum auszumachen. Vor dem Tor standen zwei Druiden, die sich auf ihre Stäbe stützten und schon auf sie zu warten schienen. Der eine war groß gewachsen und von schlanker Gestalt. Unter seiner dunkelgrünen Kapuze konnte man ein Gesicht so schwarz wie Ebenholz mit markanten Zügen und mandelförmigen Augen erkennen, das von dichten blonden Haaren umrahmt war. Ein Faun. Der zweite Druide maß kaum mehr als einen Meter. Die Hand, die den Stab umklammert hielt, war allerdings größer als die seines Gefährten; es war eine stark gekrümmte, bleiche, fast durchsichtige Hand. Sein Gesicht war von der Kapuze fast völlig verdeckt.
»Der Gnom ist ein wichtiger Mann«, flüsterte Alfargus Dhannam ins Ohr. »Er ist ein oberster Meister der Magie, ein mächtiger Zauberer. Siehst du den Stab?«
Dhannam nickte knapp. Die beiden Druiden gingen auf Gavrilus zu, wortlos streiften sie ihre Kapuzen ab und verbeugten sich. Der Orden der Druiden erwies dem König der Elben die Ehre.
»Der Große Rat erwartet Euch«, sagte der Gnom feierlich. Im Vergleich zu seiner Körpergröße klang seine Stimme merkwürdig tief. »Willkommen auf der Heiligen Erde, König der Elben.« Dann ließ er einen raschen Blick über die Begleiter schweifen. »Und auch Ihr seid willkommen, Reisende.«
Die vier Elben erwiderten den Gruß mit stillem Kopfnicken, dann ritten sie weiter. Asduvarlun schien erleichtert, als ob ihm die Begegnung mit den Druiden eine tonnenschwere Last von den Schultern genommen hätte.
Dhannam spürte den Blick des Gnoms noch lange auf sich ruhen, auch als der Wald sich längst wieder hinter ihnen geschlossen hatte.
Nach einer weiteren Viertelstunde erreichten sie den Saal im Wald. Dhannam zwang sich, einen Ausruf der Bewunderung zu unterdrücken, als er den prächtigen weißen Bau zwischen den Birken auftauchen sah, elegant und robust zugleich. Inzwischen stand die Sonne hoch über den Bäumen und ließ die Rinde der Birkenstämme silbern glänzen. Das Gebälk leuchtete strahlend weiß und über die Kapitelle huschten geisterhafte Schatten. Zwischen den efeubewachsenen Säulen standen zwanzig weiße Stühle, von denen einige noch nie besetzt worden waren. Auf einem würde heute das erste Mal jemand sitzen.
Alle Anwesenden standen noch. Die Regeln des Anstands geboten, dass sich niemand setzte, bevor nicht die Abgesandten aller Völker eingetroffen waren, und so warteten alle stehend auf den Elbenkönig. Dhannams Augen leuchteten; so viele Könige und Herrscher hatte er noch nie auf einem Fleck gesehen. Hier im Saal im Wald waren die höchsten Repräsentanten der acht Reiche versammelt. Ein Angriff auf diesen heiligen Ort während einer Ratssitzung hätte eine unvorstellbare Katastrophe für alle Völker bedeutet. Um das zu verhindern, wurde die Insel von den Druiden mit ihren magischen Kräften Tag und Nacht bewacht. In allen acht Reichen gab es keinen so gut geschützten Ort.
Gavrilus stieg vom Pferd und seine Begleiter folgten ihm.
Asduvarlun griff nach den Zügeln und band die Pferde draußen an. Schweigen hatte sich breitgemacht und man konnte sogar das Gras über ihre Stiefel streichen hören, als Gavrilus, gefolgt von seinen Söhnen, in die Runde trat. Doch kurz darauf war der Saal wieder vom Rascheln der Gewänder und von höflich entbotenen Grüßen
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