THARKARÚN – Krieger der Nacht
Shannon, der sofort nach seiner Ankunft den zusammengewürfelten Haufen Zauberer um sich geschart hatte, die sich bereits auf der Großen Mauer befunden hatten, und sie nun unterrichtete. Die meisten von ihnen waren jämmerliche Geisterbeschwörer, die sich zu Friedenszeiten mehr mit billigen Tricks als mit echten okkulten Künsten über Wasser hielten. Längere Diskussionen nützten jetzt niemandem und waren pure Zeitverschwendung.
Die Große Mauer der Ebene erstreckte sich über viele Meilen an der Grenze zwischen Gnomenreich und Faunenreich und war von den Gnomen im Zeitalter der großen Kriege errichtet worden, als diese beiden Völker lange Zeit um die fruchtbaren Grenzgebiete gekämpft hatten. In der Zeit danach hatte die Mauer mal dem einen, mal dem anderen Volk gehört, und jedes hatte sie weitergebaut und verbessert und am Ende des Zeitalters befand sie sich auf dem Gebiet der Gnomen. Diese wollten sie nicht schleifen, ganz im Gegenteil, sie pflegten das große Bauwerk sorgfältig und postierten dort zahlreiche Wachen. Über viele Jahrhunderte hinweg hatten die kaum etwas zu tun, nie mussten sie die Ankunft eines Feindes melden, sodass ihre Rolle im Lauf der Zeit überwiegend zu einem Ritual verkam. Doch
nun legte sich erneut die Dunkelheit über die acht Reiche und die Große Mauer der Ebene war wieder das mächtige Bollwerk, hinter dem sich die Soldaten verschanzen konnten.
Die bedeutendste Festung der Mauer befand sich im Norden des Gnomenreiches ganz in der Nähe der Grenze, sodass die nächste Stadt Fay Dyell im Faunenreich war. Dort, ein berüchtigter Treffpunkt für Händler und Söldner, hatte man das Lazarett und einen Teil der Kaserne eingerichtet, die Unterkünfte für die Herrscher, die nicht ständig auf der Großen Mauer bleiben konnten oder wollten, die Schmieden und die Waffenkammern. Von der Großen Mauer erreichte man die Stadt in wenigen Minuten, daher hatten alle es für die vernünftigste Lösung gehalten. Trotzdem waren sie teilweise nicht damit zufrieden. Sah man zwar nichts als grüne Weiden, wenn man von den Stadtmauern nach Süden blickte, die in einer Abfolge von kleinen Hügeln und Tälern zum Horizont hin sanft abfielen, so schaute man im Norden direkt auf einen dichten Mischwald, die ersten Ausläufer einer unwirtlichen Waldlandschaft. Der Wald zog sich viele Meilen weit nach Norden, wo die kahlen Bäume wie schwarze Gerippe wirkten, die ihre Hände flehentlich zum Himmel erhoben. Und selbst wenn sie noch Laub trugen, wirkten sie Furcht einflößend, denn jetzt musste man befürchten, dass überall im Unterholz finstere Wesen hausten.
Auch die Feen, die an ein Leben mit Bäumen, ja häufig sogar direkt auf den Bäumen gewöhnt waren, waren nicht glücklich über die direkte Nachbarschaft mit dem düsteren Wald, vor allem nicht, wenn es dunkel wurde. Man stimmte überein, dass die Gremlins bei ihren Angriffen auf die Große Mauer von dort kamen, und dann gab es ja auch noch viele alte Geschichten, die von finsteren Wesen und schrecklichen Kreaturen sprachen, die sich dort im dichten Gehölz verbergen sollten.
Und genau dorthin blickte General Asduvarlun sorgenvoll, als er am zweiten Abend auf der Großen Mauer mit Lay Shannon ins Gespräch kam. Sie waren allein auf dem Bollwerk und der
Himmel verdüsterte sich rasch nach einem fahlen Sonnenuntergang. Die silbernen Haare offen über den aufrechten Schultern, im Gesicht diesen Ausdruck von unbeugsamer Entschlossenheit, der ihm den Beinamen »eiserner General« eingetragen hatte, wickelte sich Amorannon Asduvarlun fester in seinen eismeergrauen Umhang. Er sog den kalten Wind mit geweiteten Nasenlöchern ein, als wolle er einem strengen Geruch nachspüren. Seine Hand auf der Brüstung war mit Narben bedeckt, an seiner Seite hing Ligiya.
Lay Shannon trug das übliche schwarze Gewand seines Hexerordens und stützte sich auf seinen Erlenstab. Das spärliche Licht des Sonnenuntergangs brachte das Rot seiner Haare stärker denn je zur Geltung. Ab und zu blickte er kurz zum General hinüber. Seit einiger Zeit, genauer gesagt seit Zaraks Tod, schätzte Asduvarlun seine Gesellschaft, vielleicht auch, weil ihn durch Ligiya zwangsläufig etwas mit dem Hexer verband. Es war kein vertrauliches Verhältnis, keiner von ihnen war der Typ, der zu jemand anderem als seinen Liebsten eine innige Beziehung aufbauen konnte, Lay Shannon schien selbst dazu nicht fähig. Doch der General mochte seine direkte Art und auch, dass er vor der größten
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