The Cutting
einen Plan zeichnen?«
»Nein, danke, Madam. Das kann ich mir merken.«
Spencers Praxisräume waren problemlos zu finden. An einem Samstagabend um sieben Uhr war das Vorzimmer natürlich nicht besetzt, aber Spencers Tür stand offen. McCabe streckte den Kopf hinein und klopfte behutsam an. Philip Spencer telefonierte. Lächelnd winkte er McCabe herein und deutete auf einen Ohrensessel neben seinem Mahagonischreibtisch. Dann legte er die Hand über die Muschel seines Telefonhörers und formte lautlos die Worte: »Nur eine Minute.«
McCabe nickte und setzte sich. Die Möblierung war konservativ und teuer. Das war vermutlich Standard für Führungskräfte aller Art, wie es aussah auch in Medizinerkreisen.
Spencer wirkte deutlich jünger, als McCabe erwartet hatte, und hätte wohl auch als Fernsehdoktor eine gute Figur gemacht. Er war groß und schlank, und seine glatten, dunklen Haare zeigten erste Spuren von Grau. Sein Gesichtsausdruck und seine Haltung signalisierten unmissverständlich die Zugehörigkeit zu einer der Oberschichtfamilien des US-amerikanischen Nordostens. Seine sonnengebräunte Haut ließ darauf schließen, dass er entweder viel Zeit im Freien oder auf der Sonnenbank verbrachte, und auf McCabe machte er nicht den Eindruck, als wäre er der Sonnenbank-Typ. Er trug OP-Kleidung.
McCabe schaute sich um. Es herrschte makellose Ordnung. Die Gegenstände auf Spencers Schreibtisch waren präzise platziert. Die medizinischen Zeitschriften auf dem Kaffeetischchen waren nach Datum sortiert und ohne jedes Eselsohr. An einer Wand hingen Fotos von Spencer, auf denen er zum Teil alleine, zum Teil auch mit anderen zu sehen war. Auf etlichen trug er OP-Kleidung, wie jetzt auch, und stand neben Menschen, die wie dankbare Patienten wirkten, beglückt darüber, dass sie die Klinik lebend verlassen konnten, mit einem neuen Herzen in der Brust, das, zumindest für den Augenblick, eine Verlängerung ihrer Aufenthaltsgenehmigung in diesem Leben bedeutete. Auf einem Foto trug Spencer einen schwarzen Anzug und Krawatte und stand neben dem ehemaligen US-Präsidenten George H. W. Bush, Barbara Bush und Olympia Snowe, der Senatorin von Maine. Ein Transparent im Hintergrund teilte dem Betrachter mit, dass sie das zwanzigjährige Bestehen des Levenson Heart Center feierten.
Die Aufnahme, die McCabe am interessantesten fand, zeigte Spencer in Bergsteigermontur und vielleicht zehn Jahre jünger, zusammen mit drei anderen Männern etwa in seinem Alter. Auf einem handgeschriebenen Schild im Vordergrund war zu lesen: MOUNT McKINLEY, 6194 m. WIR WAREN OBEN! Drei Kletterer lächelten stolz in die Kamera, nur Spencer hatte den Blick zur Seite gewandt. Er war der zweite von links und schaute den Mann direkt neben sich an. Irgendetwas an Spencers Gesichtsausdruck irritierte McCabe. Er wusste nur nicht so recht, was es war.
Flüchtig betrachtete er auch noch die anderen gerahmten Fotos. Interessanterweise gab es kein einziges Bild von Spencers Frau. Kein Foto aus einem Familienurlaub. Keines von Spencers Kindern, falls es überhaupt welche gab.
McCabe wandte den Blick von den Fotos ab und schaute zu dem Fenster hinaus, das sich hinter Spencer befand. In weiter Ferne war, im letzten Licht der untergehenden Sonne, die Silhouette des charakteristischen Dreiecksgipfels des Mount Washington zu erkennen. »Ziemlich spektakulärer Ausblick, stimmt’s?«, sagte Spencer und legte den Hörer auf die Gabel. »Einer der Vorteile, den das oberste Stockwerk zu bieten hat.«
Er schob ein paar Papiere in einen Aktenordner, knipste seine Schreibtischlampe an und lehnte sich zurück. Das Licht betonte Spencers tief liegende, beinahe schwarze Augen, die McCabe intensiv musterten. »Tut mir leid, dass Sie warten mussten«, sagte er. »Nun, wie kann ich Ihnen behilflich sein, Detective?«
»Was wissen Sie über Katie Dubois’ Tod?«
»Nicht viel. Mehr oder weniger das, was ich letzte Woche nach ihrem Verschwinden in der Zeitung gelesen habe. Katie Dubois war eine sechzehnjährige Highschoolschülerin aus Portland. Eine gute Sportlerin, hübsch, blond. Nach einem Abend im Old Port ist sie verschwunden. Und gestern Abend hat Tom Shockley mir erzählt, dass sie ermordet worden ist.«
McCabe spannte die Muskeln an. »Woher kennen Sie Shockley?«
»Wir treffen uns immer wieder auf Partys. So wie gestern Abend. Da waren wir auf einer Spendengala für krebskranke Kinder im Pemaquid Club.«
Der Pemaquid Club war ein schickes Innenstadtlokal für die
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