The Longest Way: 4646 Kilometer zu Fuß durch China (German Edition)
zu Besuch bei mir war, kauften wir uns eines und fuhren mit ihm von Hangzhou bis nach Shanghai. Es war laubfroschgrün und ging in sechs Tagen sechsmal kaputt – unsere Gurke.
Die Suche ist schwierig. Yumen hat zwar einen Markt für landwirtschaftliche Geräte, aber er ist in einem staubigen Hinterhof versteckt, und die Auswahl ist begrenzt und teuer.
»Vielleicht sollten wir das einfach vergessen«, sagt Ruben und blickt sich missmutig um.
Ich weiß, er will lieber zu Fuß gehen.
»Ich habe es Papa versprochen«, sage ich. »Die Strecken werden lang, das Wetter wird heiß, und du bist das Laufen nicht gewöhnt.«
Vor uns stehen zwei Verkäufer mit einem Transportfahrrad und schauen uns fragend an. Wir haben Strohhüte auf den Köpfen, auch das ist ein Rat unseres Vaters, er macht sich Sorgen wegen der Sonne.
»Das ist überhaupt keine richtige Gurke«, schimpft Ruben und zeigt auf das klapprige Gefährt.
»Und warum nicht?«
»Weil sie blau ist und nicht grün.«
Wir kaufen die blaue Gurke für vierhundert Yuan.
Ich setze mich auf die Ladefläche, und Ruben fährt uns durch die Stadt. Die Leute starren noch verwunderter hinter uns her als sonst. Im Supermarkt kaufen wir ein Badmintonset und bekommen zwei Wassermelonen geschenkt. Wir gehen zurück ins Hotel, legen uns auf unsere Betten, essen Joghurt und gucken DVDs.
»Wenn wir unterwegs sind, müssen wir uns an eine Vereinbarung halten«, sage ich. »Sobald du dich unwohl fühlst oder aufhören willst, sagst du Bescheid, und wir fahren irgendwo in ein Hotel. Okay?«
Er nickt.
»Und jetzt genieß es«, sage ich. »Morgen wird es heiß und staubig, und wir werden keine weiße Bettwäsche mehr haben.«
Er lacht, und ich kann es in seinen Augen erkennen: Er will keine Fernsehserien mehr sehen. Er interessiert sich auch nicht für irgendwelche Vereinbarungen. Er will hinaus in die Wüste.
Am nächsten Morgen binden wir die Kabutze an die blaue Gurke. Mein Vater ruft an und sagt mit gerührter Stimme: »Passt auf euch auf, meine Söhne.« Ich sage ihm nicht, dass wir übermüdet sind, weil wir die ganze Nacht Serien geguckt haben. Ein paar Hotelangestellte stehen im Eingang und schauen uns beim Packen zu. Wir schwenken unsere Hüte zum Abschied, sie lachen.
Wir nehmen nicht die Landstraße, sondern den Weg über die Dörfer. Ich zu Fuß, mein Bruder auf der Gurke. Der Weg führt durch üppige grüne Felder. Sonnenblumen, mehr als zwei Meter hoch, senken ihre Köpfe zu uns herab. Einmal weist uns jemand den falschen Weg, und wir landen in einer Fabrikruine. Ein anderes Mal kommen wir an einem Hanffeld vorbei und kichern wissend.
Wir haben mein Handy am Lenker befestigt und hören Musik, fast ausschließlich Punk. Sie ist ein bisschen leise und einigermaßen scheppernd, aber es macht Spaß, Gitarrengeschrammel zu hören, während die Sonne auf unsere Hüte niederbrennt und unsere fünf Räder leise sirren.
Wir machen dreißig Kilometer am ersten Tag und vierzig am zweiten. Unser Weg führt durch ein langes, grünes Flusstal, und die meiste Zeit scheint die Gobi weit entfernt zu sein. Nur manchmal sehen wir sie durch das Grün hindurchscheinen, dann sieht sie aus, als ob sie das fruchtbare Land im Würgegriff halten würde.
Wir essen in kleinen Restaurants und übernachten in Bauernhäusern. Auf den Märkten kaufen wir Melonen, die auf der Ladefläche der blauen Gurke hin und her rollen, bis sie von uns gegessen werden. Wir haben fast immer getrocknete Aprikosen in der Tasche.
Einmal beobachten wir drei Hirten, die eine Herde durch eine Furt treiben wollen. Sie versuchen es eine Zeit lang mit Zurufen, dann tragen sie schließlich ein Lamm hinüber und warten, bis es anfängt, jämmerlich zu blöken. Und tatsächlich: Die Herde setzt sich in Bewegung und durchwatet den Fluss.
Wir laufen in die Dämmerung hinein. Die Sonne steht vor uns am Himmel, schickt einen Strahlenfächer durch die Wolken, verfärbt sich langsam tiefrot und versinkt hinter dem Horizont. Aus dem Handy ertönt ein Lied der Lokalmatadore , sonst ist alles still. Wir kauen süße Aprikosen, das Wetter ist weder warm noch kalt.
Ruben guckt mich an und lächelt. »Das hast du also die letzten acht Monate gemacht.«
BLIND
»Ta shi wo didi« , sagt Ruben manchmal zu den Leuten. »Er ist mein jüngerer Bruder.« Er hat diesen nervtötenden Satz mittlerweile so oft aus meinem Mund gehört, dass er ihn auswendig kennt. Und er sagt ihn gern, denn die Leute sind jedes Mal ein bisschen
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