The Weepers - Wenn die Nacht Augen hat: Band 2 - Roman (German Edition)
durch den langen Tunnel, wobei wir Bobby halb zerrten und halb schoben. Er wehrte sich nicht, war aber verdammt schwer.
Am Ende des Schachts hielt Quentin inne, sah uns er schreckt an und legte einen Finger auf die Lippen. Ich hörte gebrüllte Befehle. Soldaten marschierten an unserem Versteck vorbei. Bobby schmiegte sich an mich und winselte leise. »Psssst.« Ich strich über sein Haar, was ihn aber nicht zu beruhigen schien. Wenn sie ihn hörten, waren wir geliefert.
Ich schloss die Augen und lehnte mich gegen das kühle Metall des Luftschachts. Bobby hörte auf zu zappeln, doch unter meinen Fingerspitzen spürte ich seinen rasenden Puls.
»Sie suchen nach uns«, sagte Quentin leise.
Vor 37 Minuten hatten wir Bobby gefunden. Seit 29 Minuten steckten wir in diesem Luftschacht. Wie viel Zeit blieb uns noch, bis sie uns entdeckten?
»Sherry, zieh die Waffe«, flüsterte Joshua, und ich gehorchte. Atemlos lauschten wir den Geräuschen von unten.
44 Minuten im Luftschacht. 2 640 lange Sekunden.
»Jetzt!«, zischte Quentin und verschwand plötzlich. Joshua schob Bobby aus dem Schacht und sprang hinterher. Ich kroch zum Rand und sprang mit den Füßen voraus los. Der neue Tag war bereits angebrochen.
»Schnell!« Quentin zog an meinem Arm. Gemeinsam mit Joshua schleppte er Bobby zu dem Loch im Zaun.
»Sherry! Links von dir!«, rief Joshua. Ich drehte mich um und sah zwei Wachmänner auf uns zukommen. Es war nur eine Frage der Zeit, bis sie uns bemerkten. Ich hob die Betäubungspistole und schoss zwei Pfeile ab. Sekunden später gingen beide Wachen zu Boden – sie hatten das Bewusstsein verloren, bevor sie Alarm schlagen konnten. Zum Glück hatten wir eine der Betäubungs pistolen, die Joshuas Dad uns gegeben hatte, zum Heil mittel in den Rucksack gesteckt. Wäre sie mit den anderen Sachen fortgespült worden, hätten wir zu weitaus drastischeren Mitteln greifen müssen.
Wir knieten uns vor das Loch im Zaun und schlüpften hindurch. »Gute Arbeit«, flüsterte Joshua, als wir mit Bobby in unserer Mitte davonrannten.
Ich beobachtete Bobbys Gesicht nach Anzeichen einer Veränderung – nichts. Das Sekret strömte nach wie vor aus seinen Augen.
Ich weiß nicht mehr, wie lange es dauerte, bis wir das Auto erreichten. Mit Bobby kamen wir nur langsam voran. Trotz Joshuas Protest setzte ich mich neben Bobby auf die Rückbank, während er auf dem Beifahrersitz Platz nahm. Ich wollte bei meinem Bruder sein. Wir fuh ren ohne Licht, um nicht entdeckt zu werden. Bobby zuckte noch einmal zusammen und schloss dann die Augen – zum Glück, denn so musste ich das milchige Blau nicht länger ertragen. Doch es sah nicht so aus, als würde er Fortschritte machen.
Nach mehreren Stunden hatten wir den Zaun erreicht. Die ganze Zeit über suchte ich den Himmel nach Hubschraubern ab. Wir parkten das Auto in unmittelbarer Nähe zum Zaun – das war zwar unvorsichtig, aber wir waren nicht in der Lage, eine längere Strecke zu laufen. Wir schleppten uns zur Tunnelöffnung und sanken erschöpft davor zu Boden. Das Gebüsch schützte uns vor neugierigen Blicken, und einen Hubschrauber würden wir rechtzeitig hören. Einen Augenblick lang saßen wir nur da, keuchten und sammelten unsere Kräfte. Ich hätte eine Woche lang schlafen können.
Ich starrte in die endlose Finsternis des Tunnels, aus dem ein erdiger, modriger Geruch drang. Von Tyler und den anderen war weit und breit nichts zu sehen. Hoffentlich hatten sie es geschafft.
»Hier geht es auf die andere Seite?«, fragte Quentin mit zusammengekniffenen Augenbrauen.
»Ja. Ist nicht so schlimm, wie es aussieht.«
Quentin wirkte nicht gerade überzeugt.
Es kam mir wie eine Ewigkeit vor, seit wir durch den Tunnel gekrochen waren. Wie lange würden wir wohl mit Bobby im Schlepptau brauchen? Wir mussten ihn den ganzen Weg über mitschleifen. Aber uns blieb nichts anderes übrig. Das hier war der einzige Weg auf die andere Seite – zurück ins Ödland.
Bobby stöhnte. Ich beugte mich über ihn und legte die Hände auf seine Wangen. Als ich das raue Fell und das feuchte Sekret berührte, hätte ich sie fast wieder zurückgezogen, aber das brachte ich nicht übers Herz. Er war immer noch mein Bruder.
»Bobby?«
Nichts.
»Bobby, wach auf.«
»Vielleicht ist es besser, wenn er bewusstlos ist«, sagte Quentin. Sobald ich die Bedeutung seiner Worte begriff, lief es mir kalt den Rücken hinunter.
Joshua drückte meinen Arm, als hätte er meine Gedanken gelesen. »Gehen wir
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