Thursday Next 02 - In einem anderen Buch
Alles, was sie sonst anhatte, war grellrot, und ich hatte den Verdacht, dass auch ihre Haut unter dem dicken Make-up nicht eben blass war.
»Guten Morgen, Euer Majestät«, sagte ich, so höflich ich konnte.
»Humpf!« gab die Herzkönigin zurück und fügte dann nach einer Pause hinzu: »Du bist doch der neue Lehrling von dieser eitlen Miss Havisham, oder?«
»Seit heute Morgen, Ma'am.«
»Ein verschwendeter Tag, würde ich sagen. Hast du auch einen Namen?«
»Thursday Next, Ma'am.«
»Wenn du möchtest, darfst du jetzt einen Knicks machen.«
Also machte ich einen Knicks.
»Du wirst es noch bedauern, dass du nicht bei mir in die Lehre gehst, meine Liebe. Aber da kann man nichts machen, du bist noch ein Kind, und in deinem Alter kann man richtig und falsch noch nicht unterscheiden.«
»Welches Stockwerk, Euer Majestät?« fragte der Neandertaler.
Die Herzkönigin strahlte. Wenn er sich bewähre, sagte sie leutselig, werde sie ihn vielleicht zum Herzog machen. »Dritter Stock!«
Es entstand eine jener Verlegenheitspausen, wie es sie nur in Aufzügen und Wartezimmern von Zahnärzten gibt. Wir starrten auf den Zeiger, der sich langsam von einem Stockwerk zum nächsten bewegte.
»Zweiter Stock!« verkündete der Neandertaler und der Aufzug hielt an. »Historisches, Allegorisches, Historisch-Allegorisches, Theaterstücke, Lyrik und Theologie, Kritische Analyse und Bleistifte.«
Die Türen öffneten sich.
»Besetzt!« rief die Herzkönigin, als jemand einzusteigen versuchte, und der Betreffende wich erschrocken zurück.
»Und wie geht es Miss Havisham jetzt so?« fragte die Herzkönigin hochnäsig, als sich der Aufzug wieder in Bewegung setzte.
»Ganz gut, glaube ich.«
»Du musst sie mal nach ihrer Hochzeit fragen.«
»Ich glaube nicht, dass das klug wäre«, gab ich zurück.
»Mit Sicherheit nicht«, sagte die Herzkönigin und bellte wie ein Seelöwe. »Aber die Wirkung könnte höchst amüsant sein. Eine Art Vulkanausbruch, wenn ich mich recht entsinne.«
»Dritter Stock!« rief der Neandertaler. »Belletristik, Unterhaltung, Autoren mit den Anfangsbuchstaben A-J.«
Die Türen öffneten sich und man erblickte zahllose Bücherfreunde, die sich in höchst unwürdiger Weise um Sonderangebote stritten, die allerdings, wie ich zugeben muss, wirklich sehr preiswert waren. Ich hatte schon von diesen Belletristik-Schlachten gehört, sie aber noch nie selbst miterlebt.
»Komm, das gefällt mir schon eher!« rief die Herzkönigin glücklich, rieb sich die Hände und trampelte, als sie den Aufzug verließ, eine kleine alte Dame platt, die ihr im Weg stand.
»Na, wo bist du, Havisham?« brüllte sie und schob sich rücksichtslos durch die Menge. »Sie muss doch hier irgendwo ... Ja! Da ist sie ja! Ahoi, Stella, du alte Seekuh!«
Miss Havisham blieb abrupt stehen und starrte die Herzkönigin wütend an. Mit einer raschen Bewegung zog sie eine kleine Pistole aus den Falten ihres zerfetzten Brautkleids und feuerte in unsere Richtung. Die Herzkönigin duckte sich erstaunlich behende, und die Kugel riss ein Stück Gips aus der Wand.
»Immer diese Zügellosigkeit!« rief die Herzkönigin, aber Miss Havisham war nicht mehr da.
»Ha!« sagte die Herzkönigin und stürzte sich ins Gewühl. »Der Teufel soll sie holen! Sie ist auf dem Weg zu den Liebesromanen!«
»Liebesromane?« sagte ich zweifelnd und dachte an Miss Havishams Männerhass. »Das kann ich mir gar nicht vorstellen.«
Die Herzkönigin ignorierte meine Bemerkung und nahm eine Abkürzung durch die Fantasy, um das Gedränge vor dem Agatha-Christie-Stand zu vermeiden. Ich kannte die Halle besser und schlüpfte durch die Lücke zwischen Haggard und Herge in den nächsten Gang, wo ich gerade rechtzeitig eintraf, um zuzusehen, wie Miss Havisham ihren ersten Fehler beging. In der Eile hatte sie eine alte Dame beiseite geschoben, die gerade ein Zwei-für-den-Preis-von-einem-Angebot prüfte. Die alte Dame, offenbar eine routinierte Schlussverkaufskämpferin, parierte den Stoß von Miss Havisham und hakte den gekrümmten Bambusgriff ihres Regenschirms um Miss Havishams Knöchel. Miss Havisham ging mit einem dumpfen Krachen zu Boden und blieb schwer atmend liegen. Ich kniete mich neben ihr hin, und im selben Augenblick sprang die Herzkönigin vorbei, mit einem lauten: »Hä, hä, hä!«
»Thursday!« keuchte Miss Havisham, während sie von mehreren bestrumpften Beinen überrannt wurde. »Es geht um die signierte Gesamtausgabe der Daphne-Farquitt-Romane in der
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