Tiamat-Zyklus 1 - Die Schneekönigin
sich die Traummaschinen, wo man sich in abenteuerliche Situationen auf anderen Welten versetzen lassen konnte, wo man jedes Verbrechen begehen und sogar bis zum Augenblick des eigenen Todes ausharren konnte, wenn man den Mut dazu auf brachte. Er benutzte sie häufiger und häufiger, und sie boten ihm weniger und weniger.
Er bahnte sich einen Weg durch die Menge zum Nebenzimmer, wobei er sich mit der Entschlossenheit und Zielstrebigkeit eines anderen Mannes bewegte, eines Mannes, der eine Maske und das Medaillon eines Außenweltlers auf der Brust trug. Funke Dawntreader trug eine helle, importierte Tunika und hohe Stiefeln, das Haar hatte er kurzgeschnitten wie ein Winter – aber es war die unwissentliche Arroganz eines Starbucks, die die anderen Spieler aus seiner Bahn scheuchte.
»Sie erwecken den Eindruck eines Mannes, der weiß, was er will.« Diejenige, die ihm nicht ausgewichen war, verstellte ihm keck den Weg, ihr silbernes Netzkleid verbarg so gut wie nichts.
Er sah hin, dann fast augenblicklich wieder weg, denn die offene Zurschaustellung der sexuellen Fortschritte in der Stadt verschaffte ihm mitunter doch ein unbehagliches Gefühl. »Nein, danke, ich will nur hier raus.« Das Silberfunkeln ihres Haares ließ ihn einen Augenblick an silberweißes Haar denken ... Er ging vorüber und bemühte sich, sie nicht zu berühren. Er spürte nach keiner Frau mehr ein Verlangen, mit Ausnahme von Arienrhod natürlich. Arienrhod, die ihn lehrte, Dinge zu begehren, von deren Existenz er bisher noch nicht einmal etwas gewußt hatte. Die Tatsache, Sex für Geld zu verkaufen, schien ihm abstoßend und pervers, obwohl er wußte, daß weit mehr als die Hälfte der Frauen und Männer, die hier ihre Körper feilboten, Winter waren. Sie hatten aus Langeweile oder Geldgier ihr gewöhnliches Sexualleben den abseitigen Gelüsten der Außenweltler angepaßt.
Natürlich gab es hier auch Außenweltlerprostituierte, die von anderen Außenweltlern kontrolliert wurden, die weiter oben in dem Ränkespiel der Macht standen, das ständig im Labyrinth stattfand. Es gab Welten in der Hegemonie, wo die Sklaverei eine akzeptierte oder geduldete Tatsache war – und Arienrhod mischte sich nicht in die Sitten ihrer Besucher ein. Einige sahen nicht anders aus als die hiesigen Körperverkäufer (wenn auch, in seinen Augen, viel exotischer), aber es gab auch noch die Zombies, Opfer aus Fleisch und Blut, die sich Kunden kaufen konnten, die sich nicht mit Träumen zufriedengeben wollten. Sie bewegten sich fast nackt durch die Menge und prunkten mit ihren Narben – nein, ›prunken‹ war nicht das richtige Wort. Sie waren die lebenden Toten, und ihrer waren die Träume und die Alpträume. Sie standen unter Drogeneinwirkung, hatte man ihm versichert, wenn die Drogen nicht ohnehin schon ihre Gehirne ausgebrannt hatten. Arienrhod hatte ihm erklärt, daß sie nichts spürten. Und einmal, als er extrem düsterer Stimmung gewesen war, hatte er fast ..
Doch die Erinnerung daran, hilflos in einer dunklen Allee zu liegen, während vier Sklavenhändler ihn »hübsch« genannt hatten, hatte seine düstere Stimmung rasch zerbrechen lassen, so wie auch seine Flöte in jener Nacht zerbrochen war. Hinterher hatte er sich gefragt, ob er wirklich die Außenweltler so sehr verabscheute, oder nur den Außenweltler in sich.
Doch wieder hatte Arienrhod sein Gewissen beruhigt. Sie hatte seine Fragen beiseite gewischt und ihm versichert, das Böse würde immer existieren, in jedem Wesen, auf jeder Welt, denn ohne es konnte es keinen Maßstab für das Gute geben .. .
Als die Tür des Kasinos hinter ihm ins Schloß fiel, atmete Funke tief ein, während er auf der Schwelle aus seltenem Metallerz stehenblieb. Eine Katze huschte unter seinen Füßen vorbei und verschwand in einem Loch in der Wand; sie jagte.
»... Komm schon, S'eing, hilf mir weiter!« Etwas Vertrautes und doch auch wieder Fremdes an der Stimme ließ ihn aufhorchen. Er blickte an der Gebäudefront entlang. »Um Gottes willen, ich würde alles tun, um aus diesem Höllenloch rauszukommen, zu einem Ort, wo sie mir helfen können! Nimm mich unter Vertrag ...« Der Sprecher war ein Außenweltler, dichtes, dunkles Haar, braune Haut, einen spärlichen, flaumähnlichen Bart. Er saß an die Wand gelehnt auf einer Kiste und trug einen abgenutzten Mannschaftsoverall ohne Insignien. Er war ein Fremder, er sah aus wie ein kräftiger Mann, der langsam verhungert. Funke wandte sich von ihm ab. Aber die Stimme .. .
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