Tier zuliebe
entgegen, und alle Fleischesser und Zickleinmörder hinter mir lasse.
Aber ich beherrsche mich und gebe nicht einmal preis, dass ich mich dem kollektiven Fleischverzehr nicht anschließen werde, denn das würde sofort Fragen aufwerfen. Bloß keine Diskussion lostreten, die mich dann als Missionarin darstellt oder freigibt zum Abschuss in einer archaisch fleischbegeisterten Gruppe. Nachdem mit der euphorischen »Gestern-waren-sie-noch-auf-der-Weide-Botschaft« bei mir nicht viel zu holen war, entfernt sich der heitere Bergsteiger wieder – nichts ahnend und im Geiste wohl schulterzuckend.
Neben dem Grill entdecke ich nun eine riesige Pfanne mit gerösteten Zwiebeln und Bratkartoffeln. Bei näherer Betrachtung sehe ich daneben einige Packungen Speckwürfelchen. Die sollen da offensichtlich rein. Ich könnte es verhindern – zumindest könnte ich mir einen Teller »ohne« sichern –, doch irgendwie habe ich keine Lust, in das Geschehen einzugreifen. Ich stehe da wie das Kaninchen vor der Schlange und lasse den Dingen ihren Lauf. Woher die Antriebslosigkeit? Es kommt also, wie es kommen muss, und somit ist auch die Beilage zum Hauptgang für mich gestorben.
Es wird an die feierlich gedeckte Tafel gerufen. Zu meiner großen Freude entdecke ich hier nun lauter kleine Schälchen mit Pastasalat: ein regelrechtes Fest für mich, den größten aller Pastafans! Spaghetti, Tomaten, Mozzarella – alles, was mein Herz höher schlagen lässt. Damit habe auch ich etwas geschmacklich Interessantes, mit dem ich mich auf dem Teller beschäftigen kann. Denke ich. Aber gerade als ich den Löffel mit den Spaghetti aus dem Schälchen hebe, fallen mir verdächtige kleine, bräunlichgraue Stücke unter den Tomaten auf. Bei näherer Begutachtung stellen sie sich als Sardellen heraus.
Warum kann ich eigentlich nicht wie viele andere Mitte vierzig, auf eine Brille angewiesen sein, die ich an dem Abend aber leider zu Hause vergessen habe? Vermutlich würde man die Stückchen bei den vielen Zutaten nicht einmal schmecken. Aber nun habe ich sie gesehen und damit ist der schöne Pastasalat leider tabu. Mein Freund, der in diesem Moment hin- und hergerissen zu sein scheint, zwischen Mitleid und einem gewissen Amüsement über meine bedauerliche Situation, meint, die Sardellenstückchen seien doch so winzig klein, dass sie gar nicht auffallen … »Aber wenn man ›fünf grade‹ sein lässt, kann man irgendwann gar nicht mehr zählen«, sage ich und wende mich meiner letzten Abendessen-Alternative zu: Salat. Dreimal lade ich mir den Teller voll – hätte ich mir nur rechtzeitig ein paar der Bruschette gesichert, die waren nämlich ganz schnell weg. Und nachdem alle anderen nun Fleischberge auf ihren Tellern vor sich haben und eine ausgesprochen lecker riechende Sauce, werden munter die Gläser zum Anstoßen erhoben: »Auf den, der die Zicklein getötet hat«, höre ich jemanden rufen. Lachen, zuprosten – ich fühle mich wie aus einer anderen Welt.
Dabei ist es noch gar nicht so lange her, dass ich »eine von ihnen« war. In der Welt der Fleischesser verschließt man Ohren und Augen, Empathie für Tiere ist unerwünscht. Einer der Gäste fragt neugierig, wie lange die Zicklein denn gegrillt wurden, um die Qualität des Fleisches im Vorfeld abschätzen zu können, und der Grillmeister antwortet: »Fünf Stunden – die erste davon haben sie nur geschrien!« Prust, schrei, lach. Das erinnert ein bisschen an die Atmosphäre in Nachrichtenredaktionen: Auch bei den schlimmsten Katastrophen findet sich noch ein Kollege, der eine zynische Bemerkung macht. Sarkasmus ist unter Journalisten Pflicht. Natürlich heißt das nicht, dass sie den Flugzeugabsturz oder das Busunglück tatsächlich leicht nehmen. Sie lenken ab. So erkläre ich mir jetzt – nach diversen Gläsern Wein ganz Menschenfreundin – auch die Reaktion der Bergsteigerfreunde, die bestimmt im Grunde ihres Herzens nicht unsensibel sind. Spaß und Scherz sollen über das Wesentliche hinwegtäuschen: den viel zu frühen Tod der Zicklein, die gestern noch auf der Weide standen. Die Bergsteiger kämpfen verzweifelt, mit letzter Kraft und mit dem Hilfsmittel des Sarkasmus, gegen ihre Empathie an. Aber vielleicht habe ich mir diese Erklärung auch nur »ertrunken« …
Ein unerwartetes Gefühl
Die weiß-gelbe Creme, die ich am nächsten Tag im Supermarkt entdecke, sieht ausgesprochen lecker aus: »Schwarzwaldcreme« mit Curry und Honig – wenn das nicht mal eine tolle Alternative zum
Weitere Kostenlose Bücher