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Tier zuliebe

Titel: Tier zuliebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Birgit Klaus
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warten können. Zu spät. Aber den richtigen Zeitpunkt gibt es nie.
    Für mich hat die Karte also folgende Highlights zu bieten: einen gemischten Salat, Tomaten mit Mozzarella, Risotto mit Käse und Pasta mit Steinpilzen. Das klingt erst einmal gar nicht schlecht, doch im Laufe einer ganzen Woche, in der man erst den »primo« und dann den »secondo piatto« auswählen soll, geht dem Vegetarier die Fantasie für Kombinationen früher oder später aus − während die übrigen Mitreisenden sich kaum entscheiden können, was sie nun heute wieder Tolles ausprobieren wollen. Ihre staunenden »Ahs« und anerkennenden »Ohs« begleiten jeden Abend ihre eigenen drei Gänge, während mir am dritten Abend ein kleines »Seufz« entwischt, das am vierten Abend lauter wird und sich auch am fünften Abend nicht zurückhalten lässt – es gehört ab jetzt zu mir. Gestatten: Mein Name ist »Seufz. Birgit Seufz«.
    Meine Tischgefährten versuchen es mit wohlmeinenden Worten: »Sei doch nicht so streng mit dir…«, »Die Tiere sind doch eh schon tot« oder auch konspirativ flüsternd: »Es muss doch keiner davon erfahren …« Eine verführerische Vorstellung, sich darauf einzulassen. Schließlich gibt es nicht immer und überall: »Hirschkoteletts mit Steinpilzen«, »Reh mit Polenta«, »Wildschweinravioli an Butter, Salbei und Parmesan«, »Kaninchen mit Markt-Gemüse«, frische Fische aus dem Lago Maggiore in allen Variationen und Muscheln in Knoblauch-Weißwein-Sauce. Denn September, ein Monat mit »r«, ist zu allem Überfluss auch noch Muschelzeit. Und hier sind sie so frisch, wie sie es nur sein können.
    An unserem Tisch werden sie mehrfach genossen, jeder will sie mal probieren. Ich auch. Muscheln. Kriegen die überhaupt was mit? Würden sie es krumm nehmen, wenn ich mal eine von ihnen probiere? Aber letzten Endes weiß ich: Mein schlechtes Gewissen würde mich einholen. Lass ich das also lieber. Ich werde es überleben.
    Am letzten Abend, als es mir einfach nicht mehr gelingt, mich zum fünften Mal auf die Pasta mit Steinpilzen zu freuen, geschieht dann doch noch Folgendes: Aus sehr geringer Entfernung steigt mir der Duft der Muscheln in die Nase – vom Platz meiner Freundin, die sie sich schon zum zweiten Mal bestellt hat. Ich schnappe mir ein Stück Weißbrot aus dem Korb und tauche es in die Knoblauch-Zitronen-Sauce unter dem Berg leerer Muschelschalen auf ihrem Teller. Was für ein Genuss! Was für ein verbotener Genuss. Aber im Nachhinein bin ich froh, dass ich mich nur zu dieser kleinen Sünde habe hinreißen lassen. Die Woche hätte auch anders ausgehen können − eine Woche, in der die Verführung überall lauerte. Jedenfalls die in der Küche.

Der ganz normale Martinsgans-Wahnsinn
    November ist die Zeit eines feierlichen Festtagsessens, die Zeit der Martinsgänse! Während mich in den Jahren zuvor die Zeitungsanzeigen der Restaurants schon Wochen vorher von gemütlichen badischen Gaststätten träumen ließen, lösen in diesem Jahr zwei gut gemeinte Essenseinladungen, die ich nicht ausschlagen kann, weniger Vorfreude bei mir aus. Um den über achtzigjährigen Eltern meines Freundes kein unnötiges Kopfzerbrechen zu bereiten, beschließe ich, mein Vegetariertum im Vorfeld des großen Mahls lieber nicht zu thematisieren.
    Als wir schließlich an der feierlich gedeckten Tafel sitzen und die kleinen Antipasti hinter uns haben, kommt mein »Problem« dann doch zur Sprache. »Das macht aber gar nichts«, versuche ich die Gastgeber zu beruhigen. »Von der leckeren Vorspeise bin ich sowieso schon so gut wie satt!« Das ist gelogen – aber für einen guten Zweck. Vor meinen Augen wird dann die Gans zerlegt, die trotz aller Überzeugung, das Richtige zu tun, auch in meiner Nase schlicht wunderbar duftet. Schnell stelle ich mir vor, wie sie arglos und zutraulich ihr Dasein genoss, bis jemand sie kurzerhand am Genick packte und tötete. Durch derartige »Hilfsgedanken« versuche ich mich für Rotkraut und Klöße ohne Sauce zu begeistern, doch es will nicht so richtig gelingen. Ich beginne darüber nachzudenken, ob ich nicht wenigstens von der Füllung nehmen darf, von der gerade am Tisch geschwärmt wird: »Da ist nur Gutes drin: Nüsse, Karotten, Fenchel … und Leber.«
    Während sich zehn Menschen um mich herum die besten Fleischstücke herauspicken, um sie mit der leckeren braunen Sauce genüsslich zu verzehren, kaue ich lustlos auf einem trockenen Knödel herum, der auch durch das Rotkraut nicht saftiger zu werden

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