Tina und Tini 09 - Geisterstimmen im Park
dachte sie, aber das auszusprechen, wagte sie nicht, wer weiß, wie Frau Hofer darauf reagiert hätte.
„Setzt euch hierher, meine Lieben, ich bringe den Tee. Und dann werden wir euren herrlichen Kuchen anschneiden.“
Frau Hofer ging hinaus und sie blieben allein in dem großen düsteren Raum. Steif saßen sie auf den kostbaren Stühlen und wagten kaum zu atmen. Plötzlich erklang Musik über ihren Köpfen. Oder war es hinter ihnen, neben ihnen? Die Musik schien von überall her zugleich zu kommen. Leises Klavierspiel.
„Irgendwie geisterhaft“, flüsterte Tina und sah sich unsicher um.
Frau Hofer erschien mit einem Teewagen, in dessen Mitte ein bronzener Samowar stand. Fast feierlich schenkte sie aus einer Porzellankanne ein wenig tiefschwarzen Tee ein und ließ aus dem Samowar heißes Wasser dazulaufen.
„Bedient euch, Kinder, hier sind Zucker und Sahne. Gefällt euch die Musik?“
„Sie ist wunderschön, nur — wo kommt sie her?“ fragte Tini.
„Eine Aufnahme meines lieben Mannes.“ Frau Hofer schien mit ihren Gedanken weit fort zu sein. „Chopin. Keiner spielt Chopin so wie er.“
„Es ist ganz herrlich!“ schwärmte Tobbi. „Aber sagen Sie uns doch bitte, wo kommt die Musik her? Es klingt, als sei sie überall zugleich.“
Jetzt schien sich Frau Hofer daran zu erinnern, daß sie Gäste hatte.
„Oh“, sagte sie mit einem entschuldigenden Lächeln. „Ja, ich habe eine ganze Reihe von Lautsprechern installieren lassen, damit ich überall im Hause Musik hören kann. Ich werde euch die Anlage später zeigen. Aber nun wollen wir diesen köstlichen Kuchen nicht länger warten lassen.“
Frau Hofer schnitt jedem ein großes Stück Kirschkuchen ab und legte es auf den Teller. Tina beobachtete ängstlich, ob ihr Muttis Kuchen auch schmecken würde, aber da brauchte sie sich keine Sorgen zu machen, Frau Hofer aß mit ebenso großem Appetit wie sie selbst und nahm sich gleich darauf ein zweites Stück.
„So etwas Gutes habe ich schon lange nicht mehr gegessen“, lobte sie. „Ich koche zwar recht gut, aber für mich allein einen Kuchen zu backen, das ist mir doch zu mühsam.“
„Haben Sie jemanden, der Ihnen hilft, das große Haus in Ordnung zu halten?“ erkundigte sich Tini.
Frau Hofers Gesicht verdüsterte sich.
„Nein, mein Kind, das brauche ich auch nicht. Ich habe Kraft und Zeit genug, um alles selbst zu machen — und es macht mir Freude, all die lieben Erinnerungsstücke zu pflegen und mich mit ihnen zu beschäftigen. Ein fremder Mensch würde nur stören. Für den Garten lasse ich hin und wieder jemanden kommen. Aber um den Wagen kümmere ich mich ebenfalls selber.“
Tobbis Augen leuchteten auf.
„Tini hat mir davon erzählt. Darf ich ihn nachher mal anschauen?“
Jetzt lachte Frau Hofer.
„Du darfst nicht nur, du mußt! Es macht mir Freude, andere damit zu verblüffen, daß ich die Kenntnisse eines ausgebildeten Mechanikers habe. Mein Mann haßte Autofahren, und so habe ich mich sehr intensiv damit beschäftigt.“
„Sie sind eine tolle Frau!“ platzte Tina heraus.
Frau Hofer lächelte geschmeichelt.
„Nun wollen wir ein wenig Musik hören — ich werde euch einige ganz seltene Aufnahmen vorspielen.“
Frau Hofer erlaubte, daß die Mädchen den Tisch abräumten und den Teewagen in die Küche brachten.
„Wow! Hättest du das gedacht?“ flüsterte Tina. „Alles ganz supermodern! So eine Küche würde ich Mutti wünschen!“
„Frau Hofer wird von Minute zu Minute erstaunlicher.“
Tina hatte recht. Glaubte man gerade, sich ein Bild von der berühmten Sängerin gemacht zu haben, schon verblüffte sie einen mit einer ganz neuen Seite. Einmal gab sie sich als moderne, im Leben stehende Frau, einmal als Star, der freundlich die Huldigungen seiner Verehrer entgegennimmt, dann wieder als harte, einsame alte Frau — und manchmal so, als ob sie nicht recht bei Verstand wäre.
Das geschah vor allem, wenn sie Musik hörte. Dann schien sie alles um sich herum zu vergessen und in einer anderen Welt zu sein, zu der andere Menschen keinen Zutritt hatten.
Drei, vier Platten hatten sie schon angehört. Atemlos saßen sie auf ihren Stühlen und wagten kaum, ein Wort zu sagen oder eine Bewegung zu machen. Sie lauschten nur den gewaltigen Tönen, die von allen Seiten auf sie zubrausten. Plötzlich sprang Frau Hofer auf, als habe sie jemand gerufen, lief mit halbgeschlossenen Augen zum Flügel, öffnete ihn und begann zu spielen und zu singen. Sie sang ein Duett mit der
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