Tiphanie – Feuer der Sehnsucht
Novizin war, die niemals daran gedacht hätte, ihr Kloster freiwillig zu verlassen?
Würde es ihn eigentlich interessieren? Oder war sie für ihn ebenso unwichtig wie für den Seigneur auf der anderen Seite? Nur interessant, wenn es darum ging, Dame Marthe keinen Ärger zu bereiten und dem Ruf des Hauses Morvan keine Schande.
Es war vielleicht an der Zeit, ihm zu zeigen, dass sie mehr als nur ein Gegenstand war, den er aufgelesen hatte und den er nicht fortwarf, weil es seine Christenpflicht verbot. Freilich, wie sollte sie das anstellen? Sie war keine Anne-Marie, der das Leben schon bei Geburt alle Vorteile in die Wiege gelegt hatte.
Die mühsam aufgerichtete Fassade ihrer damenhaften Selbstsicherheit bekam Risse. Tiphanie griff nach dem vollen Weinbecher und trank den schweren Roten Seiner Gnaden wie pures Brunnenwasser. Erwann schenkte aufmerksam sofort nach, und sie leerte den Becher erneut.
Hernach fühlte sie sich besser.
Das Blut kreiste wärmer durch ihre Adern und die Farben, Töne und Gerüche des Bankettes bedrängten sie intensiver als zuvor. Mit fortschreitender Stunde wurden die Stimmen lauter und die Gäste fröhlicher. Nur Jannik de Morvan blickte wie üblich völlig unbeteiligt drein. Vielleicht sogar eine Nuance grimmiger als sonst.
Keine Frage, er verabscheute Menschenansammlungen wie diese. Er war seinem Herzog ein ergebener Gefolgsmann, aber er war beileibe nicht das Ideal eines eleganten Höflings. Er mochte das prächtige Samtwams des Edelmannes tragen und die Haare mit einem modischen Barett bedeckt haben, aber er blieb trotzdem ein Krieger. Ein schroffer, wortkarger Mann, der nur sich selbst Rechenschaft über seine Gedanken ablegte.
Rings um sie her wurden die Speisebretter eingesammelt, und ein weiteres Heer von Dienern brachte eine Vielzahl von Nachspeisen. Tiphanie sah Obst, Nüsse, kleine Kuchen und kandierte Früchte, sowie cremige Süßspeisen und Kompotte. Erwann nutzte die Gelegenheit, die Weinkanne mit einer Schale Zuckerwerk zu vertauschen. Tiphanie schenkte ihm ein Lächeln, während sie sich ein paar gezuckerte Pflaumen nahm und sie an den Seigneur weiterreichte.
»Mögt Ihr Süßes?«, riss sie ihn aus seinen Gedanken. Jannik fuhr auf und sah an ihr vorbei ausgerechnet auf Olivier de Clisson, der sich nun, da sich das Bankett immer mehr auflöste, in unverkennbarer Absicht näherte.
»Nein!«, erwiderte er unwillig und packte ihre Hand so roh, dass sie die süße Frucht fallen ließ. »Lasst uns gehen. Niemand wird Euch böse sein, wenn Ihr Euch früher zurückzieht.«
»Jetzt schon?«
Tiphanie war ein wenig enttäuscht, dass er dem Vergnügen bereits ein Ende setzen wollte, aber sie entdeckte, dass sich ein Teil der älteren Edelleute ebenfalls zurückzog. Gehorsam erhob sie sich, denn sie spürte über die Berührung, dass er zornig war, wenngleich sie einmal mehr nicht begriff weshalb. Sie unterdrückte einen Seufzer und versuchte ihn anzulächeln.
Es war dieses Lächeln, halb ängstlich, halb vertrauensvoll, scheu und strahlend zugleich, das Jannik de Morvan auf eine Art konfus machte, die er selbst nicht einschätzen konnte. Ein Lächeln, das mit einem Schlag die Erinnerung an eine Nacht zurückbrachte, die er besser vergessen hätte. Allein, wie konnte er das tun, wenn ihm ihr bloßer Anblick das Blut schneller durch die Adern trieb?
»Ihr dürft Euch noch nicht entfernen.« Olivier de Clisson hatte sie erreicht. »Der Reigen beginnt gerade, und ich wollte Euch führen ...«
»Tanzt Euren Reigen ohne das Kind!« Jannik de Morvan bildete ein unüberwindliches Hindernis zwischen der feenhaften jungen Frau und ihrem Chevalier. »Ist es Euch entgangen, dass die Demoiselle erst vor kurzem ihre Familie verloren hat? Sie ist in Trauer und wird sich keinesfalls im Tanze drehen!«
Olivier streifte Tiphanie mit einem bewundernden Blick und heftete seine Augen auf Jannik. »Warum zieht Ihr ein so hinreißendes Geschöpf in den Sumpf Eurer Misslaunigkeit, de Morvan? Es macht niemanden wieder lebendig, wenn Ihr Dame Tristane zu Trauer und Verzicht zwingt. Warum nicht das Leben genießen, solange es dauert?«
»Es ist nicht an Euch, das zu entscheiden. Gehabt Euch wohl!«
Er ließ kaum zu, dass Tiphanie dem gut aussehenden Seigneur eine höfliche Reverenz entbot. Diesmal lag es an ihm, dass sie fast über ihre Rocksäume fiel, während sie aus der großen Halle lief.
10. Kapitel
Ich hätte ohnehin lieber mit Euch getanzt«, sagte Tiphanie in aller Unschuld und hielt
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