Titanen-Trilogie 02 - Die Kinder der Titanen
geschafft. Ein wildes Naturkind, das mit seinen Stöcken so verheerend um sich schlug wie ein geübter Kämpfer. Man hatte sie mit Feuerwaffen bedroht und sie hatte nicht nachgegeben. Einen Schuß auf sie abzugeben hatte niemand gewagt, da sie eingefangen und zur Dame ausgebildet werden sollte. Schließlich hatte man sie, nachdem es mehrere Verletzte gegeben hatte, mit einem Netz eingefangen.
Soli, Soli! Var tat das Herz weh, ob ihres Elends und schämte sich, daß er es eigentlich war, der dies alles über sie gebracht hatte. Aber wie konnte sie wissen, daß es zu ihrem Besten war und daß sie den Rest ihres Lebens mit Nichtstun verbringen sollte?
Der Alte schüttelte den Kopf. Ihm wollte nicht eingehen, warum man ein wildes Landmädchen, noch dazu eine Ausländerin mit heller Haut und runden Augen zur Dame ausbilden wollte. Aber recht hübsch war sie, wie er zugeben mußte, sobald man sie überwältigt und gesäubert hatte.
Var merkte nun, daß der Mann zwischen ihm und Soli keine Verbindung sah. Diesmal hatten sich die Verfärbungen seiner Haut einmal zu seinem Vorteil ausgewirkt. Er wollte Soli beobachten und feststellen, ob man sich an die Bedingungen des Paktes hielt, nicht aber, um Kontakt mit ihr aufzunehmen, denn damit hätte er ihr mühsam aufgebautes Bild zerstört. Aus ihr sollte eine vollendete Dame werden. Aus ihm aber konnte kein Herr werden.
Und dann war er einmal damit beschäftigt, das Buschwerk in der Mauer zurechtzustutzen, als man sie innerhalb des Institutsgeländes spazierenführte. Er sah sie mit einer Erzieherin und drei anderen Mädchen, in züchtige Gewänder gehüllt. Dabei wurde er auf schreckliche Weise an ihren Aufenthalt auf Neu Kreta und an ihr Warten auf das Opfer erinnert. Damals so wie jetzt war er der Grund für ihre Freiheitsberaubung gewesen. Das alles erschien ihm nun so ähnlich, daß er sie am liebsten gepackt hätte und mit ihr in den Wald gelaufen wäre, nur um alles ungeschehen zu machen. Er wandte sein Gesicht ab aus Angst vor den Folgen, falls sie seiner ansichtig wurde.
Die kleine Gruppe ging den blumengesäumten Weg entlang, den Schritt im Rhythmus des Gemurmels der Erzieherin. Ganz kleine Schritte machten die Mädchen. Var hörte ihr leises Getrippel und nahm ihre Bewegungen am Rande seines Gesichtskreises wahr. Man brachte ihnen bei, sich wie Damen zu bewegen, zaghaft und graziös.
Var fuhr in seiner Arbeit fort, den Rücken dem Weg zugekehrt. Die Mädchen gingen so knapp an ihm vorüber, daß er ihren Duft spürte. Sie blieben nicht stehen. Nach einer Weile wurden sie wieder hineingeführt, und Var war erleichtert und betrübt zugleich. Eine Torheit wäre es gewesen, wenn er mit Soli gesprochen hätte, doch das Verlangen in ihm war übermächtig gewesen. Mochte er dies alles auch bedauern, er wußte nun, daß die Schule sich an das Abkommen hielt. Da durfte er nicht derjenige sein, der es brach.
An jenem Abend, als der Alte in der Ofenhitze schon fast eingeschlafen war, schlich ein vermummter Besucher verstohlen in den Keller. Der Alte wollte Fragen stellen, bekam etwas in die Hand gedrückt und hielt sich abseits. Die Gestalt blieb über Vars Liegestatt gebeugt stehen.
Aus seinen Betrachtungen gerissen, sah Var auf.
Soli war es. Ihre Augen leuchteten unter der dunklen Kapuze hervor.
»Du hast das getan«, sagte sie leise.
Var sah sie bloß an, überwältigt von ihrer Schönheit. Die Ausbildung hatte Erfolg, das bewies ihre Haltung, und die Körperpflege gab ihrer Schönheit den letzten Schmelz.
»Ich habe dich im Garten gesehen«, murmelte sie und fuhr fort, ihn mit einer Miene anzusehen, die er nicht deuten konnte.
Und dann kam unter dem Umhang ihre Hand hervor, die einen Pantoffel hielt. Und dieser landete schmerzhaft auf seinem Leib.
»Und ich dachte, du wärest tot!« rief sie, und nun erkannte er ihr Gefühl: Zorn. Damit drehte sie sich um und ging.
Sie hatte ihn für tot gehalten. An diese Möglichkeit hatte er nicht gedacht, doch eigentlich lag es auf der Hand. Sie war in der Nacht überfallen worden, gefangengenommen, weggeschleppt in eine sonderbare Institution, ohne ihn zu sehen – da war es nur natürlich, daß sie glaubte, er wäre bei dem Überfall ums Leben gekommen. Und deswegen hatte sie sich mit allem abgefunden… und plötzlich entdeckt, daß alles eine Lüge war.
Warum hatte er sich eingemischt? Diese Folgen hatte er nicht vorausgesehen.
Der Alte kam kichernd wieder. Offenbar war ihm erst jetzt die Verbindung zwischen dem
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