Titanic - Wie ich den Untergang ueberlebte
nehmen,
die sie für ein kleineres Schiff nicht auf sich nehmen würde. Die
Anforderungen, wie sie zum Beispiel an den Kapitän der Californian, die
mit gestoppten Maschinen 19 Meilen entfernt beigedreht lag, gestellt wurden,
sind unendlich andere als die, denen Kapitän Smith gewachsen sein mußte. Ein
erfahrener Reisender erzählte mir an Bord der Carpathia, daß er oft
nicht mit den – wie er meinte – »absurden« Vorsichtsmaßnahmen der Offiziere
einverstanden war, wie zum Beispiel abzuwarten, weil sie damit seine Zeit
verschwenden würden – die er für sehr wertvoll hielt. Aber nachdem er vom
Verlust der Titanic hörte, erkannte er an, daß er, in bezug auf die
Geschwindigkeit mit der sie fuhr, in gewissem Maße selbst Schuld hätte, und er
würde nicht wieder so denken.
Er war einer
derjenigen Reisenden, die andauernd verlangen, so schnell wie möglich an das
Ziel ihrer Reise zu kommen, und dann protestieren, wenn sie wahrscheinlich zu
spät ankommen werden. Es gibt einige Geschäftsleute, für die fünf oder sechs
Tage an Bord übermäßig lästig sind und reine Zeitverschwendung bedeuten. Nur
wenn sie zum Ende der Reise eine Stunde eingespart haben, ist das von
Wichtigkeit für sie. Auch wenn dieses Verlangen nicht immer bewußt vorgetragen
wird, so ist es doch wirksam als unbewußte Forderung, auf höchstmögliche
Geschwindigkeit des Schiffes zu drängen. Der Mensch, der grundlos eine schnelle
Überfahrt verlangt, muß unzweifelhaft seinen Anteil an der Verantwortung
übernehmen. Er erwartet, mit einer Geschwindigkeit übergesetzt zu werden, die
ihn nach kaum mehr als vier Tagen zum anderen Ufer bringt; dabei vergißt er
vielleicht, daß Kolumbus 90 Tage in einem 40-Tonnen-Schiffchen brauchte und daß
es gerade 50 Jahre her ist, als Raddampfer sechs Wochen benötigten.
Und die ganze Zeit über ist der
Wunsch nach Schnelligkeit und der Anspruch auf Bequemlichkeit immer größer
geworden. Die Reedereien bieten sie an, bis jetzt die Sicherheitsgrenze
erreicht und ein übermäßiges Risiko eingegangen wurde – dessen Opfer die Titanic ist. Alle, die nach größerer Geschwindigkeit gerufen haben, müssen nun
ihren Anteil an der Verantwortung tragen. Der Ausdruck eines solchen Verlangens,
nämlich die Unzufriedenheit mit den sogenannten »langsamen« Reisen, ist die
Saat in den Köpfen der Menschen, die zu dem Drängen nach höherer
Geschwindigkeit führte. Wir haben es nicht so direkt verlangt, aber wir haben
vielleicht darüber gesprochen und nachgedacht, und wir wissen, daß keine Tat
ohne Gedanken beginnt.
Die White
Star Line wurde von einigen Teilen der Presse scharf angegriffen, aber der
größere Teil dieser Kritik scheint ungerechtfertigt zu sein und vom Verlangen
geprägt, einen Sündenbock zu finden. Alles in allem hat sie mehr für die
Passagiere der Titanic getan, als jede andere Gesellschaft: Sie ließen
ein Schiff bauen, welches sie für ein »großes Rettungsboot« hielt, unsinkbar
unter normalen Umständen. Jene, die an Bord gingen, waren davon überzeugt, auf
einem sicheren Schiff zu sein (zusammen mit der Olympic): es war gegen
die allgemeinen Windkräfte gefeit, gegen die Wellen und Zusammenstöße auf See
und brauchte vor nichts zurückzuschrecken, außer, auf einen Felsen aufzulaufen,
oder schlimmer, mit einem Eisberg zusammenzustoßen, wobei die Auswirkungen,
soweit es die Beschädigungen angeht, genauso schlimm ausfallen wie mit einem
Felsen. Allerdings ist die Gefahr größer, da der Felsen kartographiert ist, der
Eisberg aber nicht. Jedoch, während die Theorie des unsinkbaren Schiffes
zerstört wurde, ging zur gleichen Zeit auch das Schiff selbst unter. Wir
sollten nicht vergessen, daß das einem nützlichen Zweck diente – es verhinderte
sicherlich die Möglichkeit einer Panik, und diese hätte einen Ansturm auf die
Boote ausgelöst und möglicherweise einige von ihnen versenkt. Ich wünsche mir
nicht, mir nur für einen Augenblick vorzustellen, daß diese Dinge hätten
passieren können. Je mehr Informationen den Leuten an Bord zugänglich waren,
desto wundervoller erscheint die vollständige Selbstkontrolle aller, auch als
die letzten Boote verschwunden waren und nichts als das steigende Wasser
erkennbar war – nur eben, daß die allgemein akzeptierte Theorie diese Dinge
weniger wahrscheinlich machte. Diese Theorie war tatsächlich eine
Sicherheitsmaßnahme, nur basierte sie auf falschen Voraussetzungen.
Es gibt
keinen Beweis, daß die White Star Line ihre Kapitäne
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