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Tochter der Träume / Roman

Tochter der Träume / Roman

Titel: Tochter der Träume / Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathryn Smith
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ein Eckchen Klopapier hängenblieb. Mit der anderen Hand wischte ich mir über die tränenden Augen. Dann beugte ich mich über das Waschbecken vor, um mich besser im Spiegel betrachten zu können.
    Meine Unterlippe war aufgesprungen. Ich musste mich im Traum wohl gebissen haben. Das würde auch erklären, warum sich mein Mund geschwollen anfühlte und ich einen fauligen Geschmack auf der Zunge hatte.
    Das widerliche Ding aus meinem Traum konnte es nicht gewesen sein, da ich nicht das Gefühl hatte, dass er ein Oneiros war – ein Dämon aus der Traumwelt. Doch wie ein menschliches Wesen hatte er sich nicht angefühlt. Er war wohl eine Ausgeburt meiner Fantasie, ein Ausdruck von Schuld und Zorn, heraufbeschworen durch das Gespräch mit Ivy. Und deshalb war ich auch nicht imstande gewesen, ihn zu stoppen.
    Es klopfte. Eine leise, gedämpfte Stimme drang durch die Tür. »Dawn, alles in Ordnung?«
    Lola. Mist, ich hatte sie aufgeweckt. Ich öffnete die Badezimmertür. »Ja. Entschuldige, Lo.«
    Doch meine Mitbewohnerin zuckte nur mit den rundlichen Schultern. »Wollte nur sichergehen. Nicht, dass ich etwas verpasse.«
    Ich versuchte zu lächeln, was ziemlich weh tat. »Nicht mal, wenn es noch so ekelig ist, stimmt’s?«
    Lola grinste. »Stimmt. Nein, ernsthaft – alles okay bei dir? Du siehst grässlich aus.«
    Lola MacIntyre war gerade mal eins fünfzig groß, weshalb ich mir neben ihr immer wie eine Riesin vorkam. Sie hatte lockiges, schwarzes Haar, dunkle Haut und einen Busen, der der Schwerkraft trotzte – was angesichts seiner Größe ziemlich beeindruckend war. Dass sie jederzeit bereit war,
Forrest Gump
mit mir zu schauen, wann immer ich sie darum bat, machte sie zu meiner besten Freundin.
    In diesem Augenblick stand sie in Boxershorts und einem ärmellosen Top in der Tür, das mit einem Szenenbild aus
Ein Duke kommt selten allein
bedruckt war – und zwar eines aus der Fernsehserie, nicht aus der unsäglichen Kinokomödie.
    »Nein, alles in Ordnung, wirklich.«
    Sie betrachtete mich skeptisch und sah unter dem hellen Licht über dem Waschtisch sehr jung aus. »Was ist mit deiner Lippe passiert?«
    »Ich muss mich wohl im Schlaf gebissen haben.«
    »Oh. Hast du vielleicht etwas Schlechtes gegessen?«
    Ich wünschte, es wäre so. »Nein, ich habe schlecht geträumt.«
    Verwundert zog sie die Brauen hoch. »Seltsam. Das passt gar nicht zu dir.«
    »Ja, nun …« Sie hatte recht. Und gleich zwei merkwürdige Träume so kurz hintereinander waren noch viel seltsamer.
    »Magst du noch eine Weile aufbleiben? Wenn du willst, lege ich einen Film ein.«
    Ich hatte gute Lust, mir von Forrest das Grauen in meinem Kopf zerstreuen zu lassen, aber Lola musste am Morgen zur Arbeit, und ich wollte nicht, dass sie mich wie eine Glucke bemutterte.
    »Danke, aber ich glaube, ich putze mir nur noch schnell die Zähne und gehe dann wieder ins Bett. Aber wir holen das nach, versprochen?«
    Sie lächelte. »Das weißt du doch. Und du kannst mich jederzeit wecken, falls du es dir anders überlegst, okay?«
    Ich nickte. Ich würde es mir bestimmt nicht anders überlegen, das wusste ich. Sosehr mir der Traum auch zugesetzt hatte, weder wollte ich ihn teilen noch mir davon den Schlaf rauben lassen.
    Es war schließlich nur ein Traum, auch mir passierte es, dass mein Geist trotz meines Erbes gewisse Dinge verarbeiten musste. Dann waren Träume nur Träume, die ich geschehen ließ, durch die ich hindurchging und in denen ich alles tat, um Erlebtes aufzuarbeiten. Vielleicht hatte ich unwissentlich so geträumt. Schließlich sprach man nicht von ungefähr vom
Unter
bewusstsein.
    Aber diese gruseligen Augen mit Rändern wie Spinnenbeine bekam ich einfach nicht aus dem Kopf. Irgendwo hatte ich sie schon einmal gesehen.
    Ich umarmte Lola kurz, putzte mir die Zähne – und die Zunge – mit Zahnpasta mit Zimtgeschmack und ging wieder ins Bett. Meine Unterlippe war wund, aber wenigstens wand ich mich nicht mehr länger in dem Nachbeben meines Höhepunkts.
    So etwas hatte ich noch nie erlebt. Und die Tatsache, dass es geschehen war, zumal in einem so verstörenden Traum, war, nun ja, verstörend. Träume waren immer eine Flucht für mich – in eine Welt der Verheißungen und Abenteuer. Und nun war ich inmitten dieser Welt geschändet worden.
    Meine Gedanken schweiften zurück in die Zeit, als ich ein kleines Mädchen war. Ich hatte oft auf dem Schoß meiner Mutter gesessen, eingewickelt in eine flauschige Decke, während sie mich wiegte

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