Tod am Laacher See
berühmtesten Pianisten seiner Zeit, der selbst von 1913 bis 1940 in
Deutschland lebte, hat Kreiten als ganz großes Pianistentalent beschrieben.
Dummerweise hat der sich 1943 abfällig über die Nazis geäußert und gemeint, der
Krieg wäre verloren. Eine auf seine Karriere neidische Freundin seiner Mutter
denunzierte ihn. Er war erst siebenundzwanzig, als sie ihn dafür aufgehängt
haben.«
»Dann war er nur zwei Jahre älter als ich«, meinte Regine Nau
betroffen.
»Sorry, ich wollte Ihnen mit dieser düsteren Geschichte den Tag
nicht noch mehr verderben«, entschuldigte sich Wärmland.
»Nein, nein, das ist interessant. Aber wie furchtbar, einen Menschen
wegen so was umzubringen.«
»Kreitens Tragödie hatte viel später sogar noch ein Nachspiel. Und
zwar für einen sehr bekannten deutschen Fernsehjournalisten, Werner Höfer aus
Kaisersesch. Kennen Sie die nette kleine Stadt an der A 48 im alten
Schieferabbaugebiet westlich von Mayen? Jedenfalls hat Höfer jahrelang den
berühmten ›Frühschoppen‹ moderiert, eine Diskussionsrunde mit
Zeitungsjournalisten, die immer sonntagmittags lief. War sehr erfolgreich. Aber
dann kam heraus, dass Höfer 1943, da war er noch Zeitungsjournalist der Nazis,
Kreitens Tod als angemessene Strafe für dessen Vergehen kommentiert hatte. Das
hat Höfers Karriere mehr als vierzig Jahre nach Kreitens Hinrichtung abrupt
beendet.«
»Sind Sie allgemein an Geschichte interessiert?«, wollte Regine Nau
wissen.
»Nein, aber ich liebe Klaviermusik und klimpere selbst ein bisschen
auf meinem Digitalpiano. Irgendwann habe ich das Straßenschild einfach mal
bewusst wahrgenommen und gelesen, dass Kreiten ein von den Nazis ermordeter
Pianist war. Der Rest steht in seiner Wikipedia-Biografie.«
Wärmland hielt Regine Nau die Glastür zum Schloss-Café auf, und sie
suchten sich einen Platz im mittleren Bereich des Lokals. Zufrieden nahm er zur
Kenntnis, dass auch seine Kollegin die Kuchenauswahl recht inspirierend fand
und es ihr nicht so leichtfiel auszuwählen. Sie entschied sich schließlich für
ein Stück Tortenboden mit gemischten Früchten, während Wärmland einer der
Apfelkuchenvarianten mit Sahne zusprach.
Schweigend genossen sie Kaffe und Kuchen. Zum Plaudern hatten sie
noch auf der gesamten Rückfahrt Zeit, was sie auch ausgiebig nutzten. Sie
unterhielten sich angeregt über Polizeiarbeit, und Wärmland beantwortete sowohl
Regine Naus allgemeine Fragen zum Polizeidienst als auch ihre Fragen zu seinen
früheren Fällen. Erst als sie auf der B 9 Andernach erreicht hatten, kamen sie
wieder auf den aktuellen Fall zu sprechen. Regine Nau wollte wissen, ob
Wärmland in seiner Mainzer Zeit schon einmal einen derartigen Fall gehabt
hatte. Das musste er verneinen. Aber statt an seine Mainzer Dienstzeit dachte
Wärmland nun an die erste Zeit seines Familienlebens in der Landeshauptstadt.
Regine Nau bemerkte, dass Wärmland nachdenklich wurde, und hielt sich mit
weiteren Fragen zurück.
Vierundfünfzig Minuten nach ihrer Abfahrt aus Bonn überquerten sie
auf der Europabrücke die Mosel. Gleich auf der anderen Seite reckte sich hinter
dem großen Kreisverkehr das Hochhaus des Polizeipräsidiums in den Himmel. Sie
suchten die Leiterin der Zentralen Kriminalinspektion in ihrem Büro auf und
informierten sie über die in Bonn gewonnenen Erkenntnisse.
***
Die Pressekonferenz fiel noch größer aus, als Wärmland
angenommen hatte. Er war froh, dass nicht er selbst dort vorne Rede und Antwort
stehen musste. Der Saal war voller Journalisten und Fotografen, die zum Teil
aus München, Hamburg und Berlin angereist waren. Bekannte Magazine wie Spiegel,
Focus und Stern hatten ihre Leute entsandt, und die großen Tageszeitungen FAZ , Süddeutsche und WAZ waren ebenso vertreten wie Rhein-Zeitung, Generalanzeiger, Trierischer
Volksfreund und andere Blätter der näheren oder weiteren Umgebung.
Kriminaldirektorin Schumacher hatte die Sache souverän im Griff, sie
vermittelte sehr viel polizeiliche Kompetenz und war durch keine der vielen
Fragen der Journalisten aus der Ruhe zu bringen. Etwas nüchterner wirkte
Oberstaatsanwältin Dewald, aber ihr Stil aus klarer Bestimmtheit und
freundlicher Souveränität wurde von Wärmland ebenfalls anerkennend
wahrgenommen. An dieser Stelle konnte man nun wirklich nicht erkennen, dass
Frauen im Berufsleben eher eine untergeordnete und wenig verantwortungsvolle
Position innehatten. Oberrätin Melchior saß neben Wärmland und stupste ihn
irgendwann dezent
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