Tod am Laacher See
zuschaute. Es gelang ihm ganz
gut, die unerwünschten Gedanken an den plötzlichen Verlust der Koblenzer
Krankenschwester in Schach zu halten. Gute Bücher hatten solches Potenzial.
Irgendwann am Nachmittag wurde er allmählich nervös, aber er freute sich auch
zunehmend auf die bevorstehende Abwechslung. Er fand die Vorstellung, den Abend
mit einer Frau aus London verbringen zu können, inzwischen äußerst spannend.
Mit Trobischs erneutem Anruf hatte er allerdings nicht gerechnet. Zumindest
nicht damit, dass er ihm mitteilen würde, dass Mary doch noch hatte absagen
müssen. So abweisend er diesem »Projekt« zunächst gegenübergestanden hatte:
Jetzt war er enttäuscht. Es war für ihn ganz offensichtlich nicht die Woche der
Frauen.
Eine Ersatzfrau war nicht in Sicht. Und so lieh er sich in der
Videothek einen Thriller mit Liam Neeson aus, den er schon einmal gesehen
hatte. Ein Mann griff gegenüber Mädchenhändlern, die seine Tochter in Paris
entführt hatten, gnadenlos durch und räumte konsequent einen Gangster nach dem
anderen aus dem Weg, ganz im Stil seiner Feinde. Bis er seine Tochter befreit
hatte. Wärmland hatte sich immer auch eine Tochter gewünscht. Nach diesem Film
spürte er eher Erleichterung, dass er solche Sorgen nicht hatte.
Den Sonntag nutzte Wärmland zur Entspannung. Das Wetter war
herbstlich; es wehte ein heftiger Wind, der zu einem langen Spaziergang durch
die Stadt einlud und ihm den Kopf frei pustete. Er setzte sich für einige
Minuten auf eine Bank am westlichen Übergang zur Genovevaburg, als die Sonne
eine Wolkenpause nutzte. Über den mächtigen Burgturm huschten noch eilig einige
dünne Wolkenfetzen wie aufgeschreckte Seelen. Es gelang ihm, einmal weder an
den Fall noch an seinen Bruder Jörg oder die vorschnell verlorene Romanze mit
Ariane Althoven zu denken.
So gut wie, jedenfalls.
Er dachte stattdessen an die für dieses Jahr schon wieder beendeten
Burgfestspiele, von denen er im Sommer ein erstes Mal eine Aufführung erlebt
hatte. Was hatte er da gelacht. Die Premiere der Boulevardkomödie mit dem Titel
»Mond über Mayen« hatte an jenem Abend sogar Mario Adorf aus München
hierhergelockt. Der Mayener Ehrenbürger, ehemals eine Klasse über Wärmlands
Vater an der Mayener Oberschule für Jungen, hatte den ersten großen Beifall
erhalten, noch bevor das Stück selbst reichlich damit bedacht worden war.
Wärmland plante für die nächste Saison fest den nächsten Festspielbesuch ein
und hoffte im Stillen auf eine weibliche Begleitung.
Nachdem er ein Stück der Nette gefolgt war und einen Abstecher ins
Grubenfeld oberhalb des Ortsteils Werkelsley unternommen hatte, kehrte er um
und gönnte sich im Café Geisbüsch zwei Stücke eines leckeren Apfelkuchens. In
dieser Nacht schlief er sogar endlich einmal ohne Zwischenfälle durch.
***
Kevin Malchow wohnte noch immer in der kleinen
Zwei-Zimmer-Wohnung im ersten Stock eines Sechs-Parteien-Hauses in Thür, die er
vor eineinhalb Jahren zusammen mit seiner damaligen Freundin bezogen hatte.
Nachdem sie ihn vor zwei Monaten verlassen hatte, suchte er eine neue Bleibe,
denn die Miete war ihm nun zu hoch. Er musste ein einzelnes Zimmer finden, aber
die waren nicht allzu reichhaltig gesät auf dem Wohnungsmarkt. Bisher hatte er
nur zwei Zimmer gesehen, die aber beide an andere Interessenten gegangen waren.
Wahrscheinlich hatte es an seinem Auftreten gelegen oder an seinem Äußeren, er
war sich da nicht so ganz sicher. Die anderen Mietinteressenten, denen er bei
Besichtigungen begegnet war, hatten jedenfalls durchweg seriöser gewirkt als er
selbst. Er musste sich eingestehen, dass seine Chancen nicht zum Besten
standen. Aber ihm blieb nichts anderes übrig, als dranzubleiben und beharrlich
weiterzusuchen. Eine Alternative gab es nicht. Er war sehr froh gewesen, als er
endlich aus der Wohnung seiner Eltern hatte ausziehen können, nachdem er mit Beatrice
eine gemeinsame Bleibe gefunden hatte. Es schien ihm, als sei es erst gestern
gewesen. Zunächst hatte er gar nicht verstehen können, warum sie ihn wieder
verlassen hatte. Bis ihm ein Arbeitskumpel erzählte, dass sie schon länger mit
einem anderen und etwas älteren Typen gesehen worden war, der wohl als Geselle
in einer Autowerkstatt arbeitete. Damit hatte der Konkurrent zumindest eine
höherwertige Arbeitsstelle aufweisen können als er mit seinem Auslieferungsjob,
der auch noch alles andere als sicher war. Aber so richtig schwierig war es mit
ihm und Beatrice erst geworden, als
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