Tod auf der Themse
Osprings Knappe,
ein Mann namens Ashby?«
Bernicia schüttelte den
Kopf.
Cranston sah Athelstan an und
verdrehte die Augen. Er nahm einen Schluck Wein, aber der schmeckte ihm
bitter. Er verzog den Mund und stand auf.
»Du weißt also
überhaupt nichts?«
»Nein, ich weiß
nichts, Sir John«, flehte Bernicia, »Ihr werdet mein Geheimnis
doch bewahren?«
Der Coroner nickte.
»Ich habe noch eine
letzte Frage.« Athelstan nahm die Tasche mit dem Schreibzeug und
barg sie an seiner Brust. »Heute abend waren wir in der Kirche von
St. Mary Magdalene. Jemand war dort eingebrochen, hatte Roffels Leichnam
aus dem Sarg gerissen, ihm die Kehle durchgeschnitten und ihn in den
Apsisstuhl gesetzt. An seiner Brust steckte ein Stück Pergament mit
dem Wort MÖRDER, geschrieben mit seinem eigenen Blut. Wer hat den
Kapitän so gehaßt, daß er so etwas tun würde?«
Bernicia verzog verächtlich
das Gesicht. »Sir Henry Ospring mit Sicherheit.«
»Der ist tot. Ebenfalls
ermordet.«
Bernicia lächelte.
»Roffel wird sich freuen, daß er in der Hölle
Gesellschaft hat.«
»Wer noch?«
Cranston blieb hartnäckig. »Von wem hat Roffel wütend oder
erbost gesprochen?«
»Ihr solltet noch
einmal zur Flotte gehen, Sir John. Fragt den Admiral, Sir Jacob Crawley.
Roffel hat immer gesagt, er hasse ihn.«
»Wieso sollte Roffel
denn Crawley hassen?«
»Nein, anders herum.
Crawley konnte unseren guten Kapitän nicht ausstehen. Ich glaube, es
gab böses Blut zwischen ihnen. Roffel sagte einmal, Crawley habe ihn
bezichtigt, ein Schiff versenkt zu haben, wobei ein Verwandter Crawleys zu
Tode gekommen sei. Roffel meinte, er würde niemals mit einem Admiral
essen oder trinken und ihm auch nie den Rücken zuwenden.«
»Wenn das so ist,
Mistress…« Cranston grinste säuerlich. »Jawohl,
ich werde dich so nennen. Wenn das so ist, sagen wir Gute Nacht.«
Als sie vor dem Haus standen,
brach Cranston in ein brüllendes Gelächter aus, das wie eine große
Glocke durch die enge Gasse hallte. Gegenüber öffnete jemand ein
Fenster und verlangte laut nach Ruhe. Cranston bat um Entschuldigung,
raffte den Mantel um sich und führte Athelstan zurück zur
Cheapside.
»So, so, so«,
murmelte er. »Da hätten wir noch ein Geheimnis. Ein Mann, der
sich wie eine Frau kleidet, behauptet, die Hure des toten Kapitäns
gewesen zu sein.« Er gähnte, streckte sich und schaute zum
Nachthimmel hinauf. »Morgen machen wir weiter«, sagte er.
»Man spricht ja von den Rätseln der Meere. Aber ich sage dir, Bruder, was gestern
nacht auf der God’s Bright Light geschehen ist, das ist ein Rätsel,
das mit jeder Stunde unergründlicher wird.« Er klopfte dem
Ordensbruder auf den Rücken. »Nun komm, Bruder, ich begleite
dich noch bis zur London Bridge und erzähle dir eine sehr komische
Geschichte über den Bischof, den Pfarrer und jemanden wie unsere
junge Bernicia.«
Fünf
Athelstan las wie gewohnt die
Frühmesse und sah dabei zu seiner Überraschung auch Aveline
Ospring unter seiner spärlichen Gemeinde. Sie kniete vor dem Lettner,
die Hände fromm gefaltet, ohne aber den jungen Ashby nur ein einziges
Mal aus den Augen zu lassen; dieser half dem Altarjungen Crim während
der Meßfeier. Nachher hängte Athelstan seine Gewänder auf,
räumte den Altar ab und ging hinaus, wo Aveline und Ashby in leisem
Gespräch auf den Altarstufen saßen.
»Möchtet Ihr Frühstück?«
fragte Athelstan.
Ashby nickte. »Ich bin
halb verhungert, Pater. Ist es möglich, ein Rasiermesser und ein
wenig Seife zu bekommen? Lady Aveline« - er klopfte auf eine
Satteltasche - »hat mir ein paar andere notwendige Dinge gebracht.«
Athelstan ging zum Haus hinüber.
Er fachte das Feuer an, und nachdem er dem stets hungrigen Philomel sein
morgendliches Heubündel gebracht hatte, wusch er sich die Hände
und trug ein Tablett mit Brot, Käse und Wein hinüber in die
Kirche. Ashby aß hungrig. Hin und wieder nahm Aveline, die heute
gefaßter und viel strahlender aussah als am Tag zuvor, einen Schluck
aus Ashbys Becher oder knabberte ein wenig Brot und Käse.
»Ich bin gekommen, um
zu sehen, ob alles in Ordnung ist«, sagte sie schüchtern und
schaute ihn unter langen Wimpern an.
Athelstan nickte und schrak
zusammen, als Bonaventura, der zwischen den Säulen geschlafen hatte,
plötzlich aufstand, den Rücken krümmte und den Schwanz in
die Höhe reckte;
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