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Tod auf der Themse

Tod auf der Themse

Titel: Tod auf der Themse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Harding
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dann? Als ich in Sir Henrys
     Kammer war, sah ich, daß das Fenster verschlossen gewesen war, bis
     Ihr es zu Eurer Flucht benutztet. Infolge dessen bezweifelte ich, daß
     jemand in das Zimmer eingebrochen ist. Sir Henry war zudem ein kräftiger
     Mann, und es gab keinerlei Spur eines Kampfes. Schlußfolgerung: Der
     Mörder muß jemand gewesen sein, der das Recht hatte, sich in
     Sir Henrys Nähe aufzuhalten. Und wer bleibt da übrig außer
     Euch, Lady Aveline?« 
    »Oh, mein Gott, man
     wird sie hängen!« flüsterte Ashby. »Niemand wird
     ihre Geschichte glauben.«
    »Laßt es mich
     versuchen«, sagte Athelstan. »Mylady?«
    »Jawohl, ich habe
     meinen Vater ermordet«, gestand sie. »Um genau zu sein: Er war
     mein Stiefvater. Der erste Mann meiner Mutter, mein leiblicher Vater, fiel
     im Krieg des Königs in Frankreich. Zunächst war alles gut. Ich
     war das einzige Kind. Ich glaube, meine Mutter bereute, daß sie
     wieder geheiratet hatte, aber sie starb vor acht Jahren. Im allgemeinen
     ließ Sir Henry mich in Ruhe. Er sorgte für mich. Ich war verwöhnt,
     ja, verzärtelt. Aber…« Sie nestelte nervös an ihrem
     Armband. »Als ich älter wurde, sah er mich nach und nach mit
     anderen Augen an. Anfangs war es nichts Großes … er bat mich,
     auf seinem Schoß zu sitzen, während er mir das Haar
     streichelte. Manchmal berührte er mich auch an gewissen Stellen und
     sagte, das sei unser Geheimnis.« Aveline blinzelte, um die Tränen
     zurückzuhalten. »Ich hatte alles«, fuhr sie fort. »Das
     heißt, alles außer einer Zofe. Er wollte es so. Und je älter
     ich wurde, desto größer wurden seine Ansprüche an mich.
     Ich ging ihm aus dem Weg, aber manchmal konnte ich es nicht. Am Abend vor
     seinem Tod, als er in der Herberge ›Zum Abt von Hyde‹ saß,
     befahl er mir, im Morgengrauen zu ihm zu kommen, denn er wolle mir jetzt
     etwas Kostbares geben, das einst meiner Mutter gehört
     habe. Ich hätte es wissen müssen.« Avelines Unterlippe
     zitterte, und ihre Augen füllten sich mit Tränen. »Er war
     so verderbt!« flüsterte sie. »Er versuchte, mich zu
     umarmen und legte mir seine Hand auf die Brust. Die ganze Nacht habe ich
     wachgelegen, behauptete er, und an mich gedacht. Und dann…«
    Athelstan spürte Ashbys
     wachsende Anspannung. Er tätschelte das Handgelenk des Mädchens.
    »Erzählt es mir
     einfach«, sagte er sanft.
    »Er sagte, hoffentlich
     sei ich so gut wie meine Mutter, und dann versuchte er, mich über
     seinen Schoß zu ziehen. Da sah ich den Griff seines Dolches, der aus
     einem Haufen Kleider auf einem Stuhl ragte. Alles ging ganz schnell. Ich
     packte den Dolch, und im nächsten Augenblick steckte die Klinge tief
     in seiner Brust. Er starrte mich an, als könne er nicht fassen, was
     da passiert war, und dann sackte er zu Boden. Ich muß eine Zeitlang
     dagestanden und ihn nur angeglotzt haben. Es war wie in einem Traum. Ich
     zwickte mich immer wieder, um mich aufzuwecken. Es war so sauber, so
     schnell abgegangen; ich hatte nicht einmal einen Blutspritzer an der Hand
     oder auf meinen Kleidern. Da klopfte es an der Tür…«
    »Das war ich«,
     unterbrach Ashby rasch. »Ich war im Zimmer nebenan. Ich hörte,
     wie Aveline den Gang hinunterging, und dann gab es ein dumpfes Geräusch,
     als sei jemand hingefallen. Ich lief in Sir Henrys Zimmer. Da erzählte
     Lady Aveline mir, was sich zugetragen hatte.«
    »Ich habe bisher nicht
     gewagt, etwas zu sagen«, flüsterte die junge Frau. »Wer würde
     mir denn glauben? Ich kannte Nicholas Ashby, und ich liebte ihn, aber das hielt ich geheim. Sir Henry hätte
     uns sonst beide umgebracht.«
    »Ich stieß sie
     aus dem Zimmer«, fuhr Ashby fort. »Als sie draußen war,
     versuchte ich, den Dolch herauszuziehen, aber da hämmerte Marston an
     die Tür.« Verachtungsvoll nickte Ashby zur Kirchentür.
     »Er war ganz aus dem Häuschen. Er hätte mich aufhalten können,
     aber er brüllte nur: ›Mörder! Mörder! ‹ Ich
     riß das Fenster auf und floh.«
    Athelstan erhob sich. Was
     Aveline erzählt hatte, erschreckte ihn eigentlich nicht so sehr.
     Immer wieder war ihm im Beichtstuhl die gleiche Sünde in allen ihren
     Spielarten begegnet - Bruder und Schwester, Vater und Tochter. Es war eine
     natürliche Folge des engen Zusammenlebens. Aber wer würde
     Aveline glauben? Sir Henry hatte sich dessen schuldig gemacht, was die
     Theologen als ›die große, geheime Sünde‹
     bezeichneten: des Inzests, viel geübt, aber nie

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