Tod auf der Themse
verschwinden
sehen, und die Signale wurden weiterhin gegeben. Wenn sie das Schiff verlassen
haben, müssen sie es fast im selben Augenblick getan haben, als der
Matrose und seine Dirne kamen, aber das wäre bemerkt worden.«
Cranston schob seinen Becher von sich. »Ich bin müde, Bruder.«
»Meint Ihr, wir sollten
nach Hause gehen?«
»Nein.« Cranston
raffte seinen Mantel zusammen. »Wir müssen noch einen weiteren
Besuch machen: bei Roffels kleiner Hure oder Mätresse. Vielleicht
kann sie ein wenig Licht ins zunehmende Dunkel bringen.«
Während Athelstan und
Cranston im »Heiligen Lamm Gottes« saßen, bewegte sich
ein von Kopf bis Fuß in Schwarz gekleideter Mann leise durch den
Korridor eines Hauses an der Ecke Lawrence Lane und Catte Street. Seine
Bewegungen waren geschmeidig, und die Lumpen, die um seine Lederstiefel
gewunden waren, machten seine Schritte unhörbar. Seine Faust
umklammerte einen Ledersack, und durch die Augenlöcher seiner Maske
spähte er aufmerksam zu den kostbaren Kerzenleuchtern hinüber,
die er auf einem Tisch am Ende des Ganges sehen konnte. Silbernes Filigran
glänzte im Dunkeln.
Der Dieb lächelte
zufrieden. Wie immer hatte er alles sorgfältig geplant. Der alte
Trottel Cranston würde nie herausfmden, wie es ihm gelang, in die
verlassenen Herrschaftshäuser zu kommen, ohne eine Spur von
gewaltsamem Eindringen zu hinterlassen. Er blieb vor dem Tisch stehen,
nahm die Kerzenleuchter und steckte sie vorsichtig in seinen Ledersack.
Verstohlen ging er weiter und kam an einer Tür vorbei, die sich in
diesem Moment öffnete. Eine junge Magd mit schlaftrunkenen Augen kam
heraus. Offenbar spürte sie, daß etwas nicht stimmte, denn sie
fuhr herum und erblickte den Dieb im Schein der Kerze, die sie trug. Sie ließ die Kerze fallen und
öffnete den Mund, um zu schreien, aber der Mann stürzte sich auf
sie. Er drückte ihr die Hand auf den Mund und rammte ihr ein dünnes
Stilett in die Brust. Die Augen des Mädchens weiteten sich vor
Entsetzen und Schmerz. Sie sträubte sich, aber der Dieb preßte
sie an die Wand. Er zog den Dolch heraus und stach noch einmal zu. Das Mädchen
hustete. Er fühlte, wie ihr heißes Blut durch seinen Handschuh
drang. Dann sank sie gegen ihn und sackte langsam zu Boden.
Sir John und Athelstan
klopften an die Tür des Hauses in der Poultney Lane neben der Schenke
»Zum Löwenherz«. Niemand antwortete, und so klopfte
Cranston noch einmal. Diesmal hörten sie schnelle Schritte. Eine
zarte, ziemlich hübsche Stimme fragte: »Wer ist da?«
»Sir John, Coroner der
Stadt London, und Bruder Athelstan, sein Secretarius.«
Schlüssel drehten sich,
Riegel wurden zurückgeschoben. Eine junge rothaarige Frau in einem
maulbeerfarbenen Kleid stand im Türrahmen. Sie hielt ein Laternenhorn
in die Höhe und streckte ihnen ein schmales, blasses Gesicht
entgegen.
»Was wollt Ihr? Was
kann ich für Euch tun?«
»Ihr kanntet Kapitän
William Roffel?«
Die von schwarzer Schminke
umringten Augen blinzelten. Athelstan war fasziniert von den rot bemalten
Lippen, die sich grell von der bleichen Haut der Frau abhoben.
»Euer Name ist
Bernicia?« fragte er. »Dürfen wir hereinkommen?«
Das Mädchen nickte und
winkte sie herein. Durch einen gemauerten Gewölbegang kamen sie in
eine behagliche kleine Stube. Sie hieß die beiden willkommen und
schenkte ihnen zwei Becher Wein ein, während Cranston und Athelstan
sich im Zimmer umschauten. Alles war hübsch und ordentlich; auf
kleinen, blanken Tischen lagen Leinendecken, der Boden war mit osmanischen
Teppichen bedeckt, und am Kamin blinkten Feuerzangen hell im Licht der
Flammen. Die Luft war schwer von einem Moschusparfüm, vermischt mit
dem Duft der Kerzen und der kleinen, geschlossenen Kohlenbecken, von denen
eins in jeder Ecke des Zimmers stand.
»Ihr lebt recht
behaglich, Miss Bernicia.«
Die junge Frau zuckte die
Achseln und lächelte. Cranston musterte sie eingehend. Jede ihrer
Bewegungen war elegant. Sie schwenkte die Hüften, während sie in
ihren hochhackigen Pantoffeln umherging. Als sie sich hinsetzte und die
Beine übereinanderschlug, zog sie ihr Kleid herunter, aber nicht so
weit, daß sie damit die elfenbeinweißen Unterröcke und
die scharlachrot und golden gewirkten Strümpfe verborgen hätte.
Sie beugte sich vor.
»Was kann ich also für
Euch tun, Ihr Herren?«
Cranston hörte,
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