Tod auf Ormond Hall
begann zu frieren. Mit zitternden Fingern knöpfte sie ihre Jacke zu.
"Das ist niemals genau festgestellt worden", sagte Roger. "Natürlich gab es damals eine Menge Gerüchte, aber es gelang den Ormonds die ganze Geschichte als Unfall hinzustellen."
"Was Sie natürlich nicht glauben." Michelle sah ihn unve rwandt an. "Nachdem Sie mir all das erzählt haben, müssen Sie mir auch sagen, wenn Sie für Danielles Mörder halten."
"Ich wollte, es wäre so einfach, Miss Bryant. Ich weiß nicht, wer Danielle ermordet hat." Roger Nevins stützte sich mit beiden Händen auf die Brüstung. "Jedes Mal wenn ich hier oben auf dem Söller stehe, denke ich darüber nach. Viele Leute glauben, dass es Edward Ormond gewesen ist. Jedenfalls steht er seit Danielles Tod unter Aufsicht."
"Edward?" Michelle dachte an die Wutanfälle, von denen Kevin gesprochen hatte. Also war Edward doch gefährlich! Andererseits konnte sie es sich nicht vorstellen. Edward machte nicht den Eindruck eines Menschen, der wahllos andere umbrachte.
"Ich kann es Ihnen nicht sagen, Miss Bryant." Roger blickte ihr in die Augen. "Aber seien Sie vorsichtig. Gehen Sie kein Risiko ein. An Ihrer Stelle würde ich auch nicht alleine hier oben ble iben."
"War Danielle mit den Ormonds verwandt?" Wie wenig wusste sie noch über die Familie, in die sie einheiraten wü rde.
"Nein, sie war nicht mit den Ormonds verwandt", erwiderte Roger Nevins. "Danielle Stone kam aus Amerika. Sie war mit Kevin verlobt."
"Verlobt?" Michelle klammerte sich an die Brüstung. Es dauerte einige Sekunden, bis sie diesen Schock überwunden hatte. Warum hatte ihr Kevin niemals erzählt, dass er bereits einmal verlobt gewesen war? Niemand auf Ormond Hall hatte Danielle auch nur mit einem Wort erwähnt. Wie konnte man annehmen, dass sie niemals von ihr erfahren würde?
"Vermutlich wollte Mister Ormond Sie nicht erschrecken", meinte Roger Nevins, aber Michelle spürte, dass er selbst nicht daran glaubte.
"Ja, so wird es sein", erwiderte sie dennoch. "Ich sollte jetzt gehen. Es wird kühl." Michelle schenkte ihm ein kurzes Lächeln. "Ich bin froh, dass wir einander begegnet sind, Mister Nevins. Sie können sich darauf verlassen, ich werde weder Kevin noch meinen zukünftigen Schwiegereltern verraten, dass ich Sie hier getroffen habe."
"Danke", sagte er. "Da wäre ich Ihnen wirklich sehr verbu nden."
Die junge Frau antwortete ihm nicht. Sie ging zur Tür. "So long!“, rief sie ihm zu, dann eilte sie die Turmtreppe hinunter. Sie sehnte sich nach der Einsamkeit ihres Zimmers. Sie musste in Ruhe über alles nachdenken. Auch wenn sie verstehen konnte, wie schmerzlich Danielles Tod noch immer für Kevin war, er hätte mit ihr darüber sprechen müssen. Vertraute er ihr denn nicht?
10.
Kevin Ormond fiel auf, dass seine Verlobte beim Dinner au sgesprochen schweigsam war, aber erst, als sie nach dem Essen noch ein Stückchen im Park spazieren gingen, fragte er: "Was hast du, Darling? Worüber machst du dir Sorgen?" Er blieb stehen. "Freust du dich nicht, dass Thomas über das Wochenende nach Hause kommt?"
Sie befanden sich in unmittelbarer Nähe des Flügels, den E dward Ormond mit seinem Pfleger bewohnte. Michelle blickte zu den erleuchteten Fenstern hinauf. Sie stellte sich vor, wie Kevins Bruder in einem Sessel hockte und unablässig Bücher durchblätterte. Sie wandte ihr Gesicht Kevin zu. "Warum hast du mir nie von Danielle erzählt?"
"Danielle?" Der Agrarwirt trat einen Schritt zurück. "Wer hat mit dir über Danielle gesprochen, Michelle?" Seine Stimme übe rschlug sich fast. "Los, sag mir, wer dir von ihr erzählt hat." Er packte sie bei den Schultern. "Ich ..."
"Lass mich los!" Michelle stieß ihn beiseite. "Was ist denn in dich gefahren, Kevin?" Ihre Augen blickten ihn erschrocken an. Er erschien ihr plötzlich wie ein Fre mder.
Der junge Mann kam zur Besinnung. "Tut mir leid, Darling, aber ich hasse es, wenn man mir nachspioniert." Er verzog das Gesicht.
"Erlaube mal, ich habe dir keineswegs nachspioniert", verteidigte sich Michelle. Sie hatte den Eindruck, in einem schlechten Film zu sein. "Ich bin heute Nachmittag ein Stückchen spazieren gegangen. Selbst in dieser Gegend trifft man ab und zu Leute. Man hat mich auf Danielle angesprochen." Es fiel ihr nicht leicht, ihren Verlobten zu belügen, aber immerhin hatte sie Roger ihr Wort gegeben.
"Michelle, es war nicht so gemeint", entschuldigte sich Kevin. "Ich weiß, ich hätte dir von Danielle erzählen müssen, aber auch nach
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