Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Tod einer Verrückten

Tod einer Verrückten

Titel: Tod einer Verrückten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Magdalen Nabb
Vom Netzwerk:
bestimmt ärgerte, wenn er sich verspätete. Der Staatsanwalt war tatsächlich verärgert. Nicht weil sich der Maresciallo verspätet hatte – er ließ ihn sogar eine Viertelstunde warten. Er war hauptsächlich wegen dieser San-Salvi-Geschichte wütend, und der Bericht des Maresciallo machte ihn zwangsläufig noch wütender, weil daraus hervorging, daß dieser, wenn er gestern hingefahren wäre, den mysteriösen Besucher vielleicht angetroffen hätte. Außerdem ärgerte er sich über die mißmutige Art des Maresciallo, der auf seine Kritik gar nicht richtig ansprang. Konnte er denn nicht begreifen, daß es einfach zu heiß war, um sich aufzuregen? Der Maresciallo sah ein, daß das Wetter dem Staatsanwalt ebenso zusetzte wie allen anderen. Sein Gesicht war bleich und schweißnaß, und unter den Augen hatte er dunkle Ringe. Er war am Ende seiner Geduld, nicht nur wegen der Hitze, sondern weil die Gefahr bestand, daß er seinen heißersehnten Urlaub verschieben mußte. Der Maresciallo konnte dem Staatsanwalt keinen Vorwurf machen, brachte aber auch nicht die Energie auf, auf seine Anschuldigungen zu reagieren. Es war keine erfreuliche Unterredung. Der Staatsanwalt beendete sie mit den Worten: »Falls Sie die Wohnungsschlüssel dabeihaben, lassen Sie sie hier. «
    »Selbstverständlich.« Der Maresciallo fischte sie aus seiner Brusttasche und legte sie auf den Schreibtisch .
    »Die Hausverwaltung hat sich mit mir in Verbindung gesetzt, und ich sehe zum gegenwärtigen Zeitpunkt keinen plausiblen Grund, sie länger hinzuhalten. Ich werde die Siegel heute entfernen lassen und den Leuten morgen die Schlüssel zurückgeben. «
    »Und Sie glauben nicht … «
    »Was soll ich glauben? «
    »Dieser Mann, von dem ich Ihnen erzählt habe … «
    »Was soll mit dem sein? Ich habe keinen Grund zu der Annahme, daß er etwas mit dem Fall zu tun hat. «
    »Haben die Leute von der Hausverwaltung vielleicht erwähnt, daß es mit Clementina Schwierigkeiten gegeben hätte, weil sie die Miete nicht bezahlt hat? Oder daß man ihr die Zwangsräumung angedroht hat? «
    »Nichts dergleichen. Ich habe den Eindruck, daß die Leute in der Wohnung unter ihr … wie war gleich wieder der Name? «
    »Rossi. «
    »Rossi. Daß diese Leute nur versuchen, Sie auf ihr kleines Problem aufmerksam zu machen, indem sie behaupten, die Franci über ihnen hätte was damit zu tun gehabt. Wenn Sie sich auf diesen Fall und auf die Dinge konzentrieren würden, die wirklich relevant sind, könnten wir vielleicht vorankommen. «
    Der Maresciallo dachte an das junge Paar, dessen »kleines Problem« womöglich darauf hinauslief, daß sie mit ihrem zwei Monate alten Baby und ihren Möbeln auf der Straße standen. Nachdenklich blickte er auf seine riesigen Hände, die auf seinen Knien lagen, und betrachtete dann über den Schreibtisch hinweg den Staatsanwalt, dessen dünne Finger mit einem Stift herumspielten, der rote Flecken an den Fingerspitzen hinterließ. Worüber regte er sich nur so auf ?
    »Ich sage den Leuten heute abend Bescheid. Ich wüßte nicht, was wir zu gewinnen hätten … «
    Dem Maresciallo fiel auf, daß er ständig solche Formulierungen gebrauchte. »Ich wüßte nicht, was wir zu gewinnen hätten … Ich sehe keinen plausiblen Grund … Ich sehe nicht ein, welchen Sinn es haben sollte … «
    Zweifellos hatte er recht. Wahrscheinlich war nichts damit gewonnen, wenn man Clementinas Mörder fand. Es hatte keinen Sinn … Es gab keinen vernünftigen Grund … Die Angelegenheit wurde einfach mechanisch abgewickelt, und das Leben ging weiter wie zuvor. Irgend jemand war einmal der Meinung gewesen, es gebe einen guten Grund, die psychiatrischen Anstalten zu schließen, und jetzt befanden sich dieselben Patienten auf Staatskosten in privaten Einrichtungen, und alles ging weiter wie zuvor. Welchen Sinn hatte es, welchen vernünftigen Grund gab es, sich um ein menschliches Wrack wie Angelo zu kümmern? Oder ihn zu vernachlässigen ?
    »Können Sie mir folgen? «
    Der Maresciallo zuckte leicht zusammen, und seine großen, sorgenvollen Augen blickten in die des Staatsanwalts. Genau wie in der Schule, wenn ihn der Lehrer plötzlich angefahren hatte: Guarnaccia! Hast du aufgepaßt? Si, Signore .
    Was habe ich gerade gesagt ?
    Daß … daß … Du hast keine Ahnung, stimmt’s, Guarnaccia? No, Signore .
    Der Staatsanwalt konnte ihn schlecht fragen: Was habe ich gerade gesagt? Ein paar Vorteile hatte es schon, erwachsen zu sein. Er redete einfach weiter, und der

Weitere Kostenlose Bücher