Tod und Teufel. Bundesausgabe.: Ein Krimi aus dem Mittelalter.
würden eine neue, stabile Ordnung in Köln errichten, eine Ordnung des Patriziats, in der jeder seinen Platz hatte, und kein neuer Erzbischof würde es überhaupt erst so weit bringen, sie daran zu hindern. Denn es hieß auch, daß Konrad, so hoheitsvoll er sich gebärden mochte, im Grunde die letzte Hoffnung des Kölner Erzstuhls war. Falls er es nicht schaffte, die alte Macht der Erzbischöfe dauerhaft wiederherzustellen, würde es keinem mehr nach ihm gelingen.
Blithildis hatte ihre zufällig zusammengewürfelte Gruppe an diesem Tag zu einem Bund zusammengeschlossen, ob sie es wollten oder nicht. Aber bis auf Gerhard waren sie alle in einen Taumel verfallen. Die Patrizier würden triumphieren! Zugegeben, sie hatten Fehler gemacht, aber aus Fehlern konnte man lernen. Die Sache war es wert. Sogar wert, einen Erzbischof umzubringen.
Wenigstens war sie es wert gewesen. Aber was war richtig?
»Ich kann deinen Atem vernehmen«, flüsterte Blithildis.
Also war sie wach gewesen. War es Einbildung, oder klang ihre Stimme dünner als sonst? Johann verkrampfte sich. »Und was sagt er dir?«
»Daß du dir immer noch Sorgen machst.« Er nickte. Es war merkwürdig. Ständig verhielt er sich in ihrer Gegenwart so, als könne sie ihn sehen.
»Es ist einiges vorgefallen, Mutter«, sagte er. »Du hast lange geschlafen. Mathias hat Urquhart aufgesucht. Die Geisel ist entkommen, und wie es aussieht, haben wir Probleme mit Kuno.«
»Kuno kann uns nichts bedeuten«, erwiderte Blithildis. »Ich weiß, du sorgst dich, ob unsere Sache –«
»Du meinst den Mord an Konrad«, berichtigte sie Johann.
Sie hielt inne und reckte das Kinn. Ihre Nasenflügel blähten sich, als könne sie seine Gedanken wittern.
»– ob der gerechten Hinrichtung dieser Hure von Erzbischof Erfolg beschieden sein wird. Ich habe gebetet, Johann, nicht geschlafen, und der Herr hat mich erhört. Konrad wird sterben, wie wir es beschlossen haben.«
Johann schwieg eine Weile.
»Mutter«, sagte er zögernd, »ich habe nachgedacht. Wenn Gott unseren Glauben prüfen will, führt er uns zuweilen auf Irrwege. Er verschleiert die Klarheit unseres Denkens und nimmt uns den Blick auf das, was wahr und wahrhaftig ist. Wir erkennen unser Ziel nicht mehr und fallen den Mächten anheim, die uns verderben, und wir erkennen die Verderbtheit nicht, sondern halten sie für das einzig Göttliche, so wie das Volk Mose sich um Aaron versammelte und ihn anhielt, Götter zu machen aus Gold. Aber ich glaube, es war weniger der Hochmut als die Unsicherheit und die Angst, die sie das goldene Kalb gießen ließ, sie wußten eben einfach nicht mehr weiter. Manchmal denke ich, sie waren der göttlichen Gebote überhaupt nicht würdig, weil sie auch vorher schon nicht wirklich Gott gefolgt sind, sondern nur einem anderen goldenen Kalb mit Namen Mose. Aber dieser Mose lebte, er war – er war eindeutig, er war wenigstens jemand, eine Persönlichkeit, und er war erleuchtet! Das Kalb hingegen war Glanz, nichts weiter, und er tat recht daran, es zu verbrennen. Aber wer weiß – vielleicht hätten sie auch ohne Mose irgendwann erkannt, daß dieses Kalb sie in ihrer Verlorenheit nicht einen kann, weil es nur ein hohler Körper aus Metall ist, dem jeder Sinn und alles, was die Menschen in Demut und Selbstlosigkeit zum wahren Gott erhebt, abgeht. Sie hätten es gemerkt, sobald sie uneins untereinander geworden wären, und hätte man dann jeden von ihnen gefragt, wer sein Gott sei, hätte jeder eine andere Antwort gegeben, so wie es ihm gerade am bequemsten erschienen wäre.«
Er machte eine Pause. Blithildis regte sich nicht.
»Sie hätten gesehen, daß sie keinem gemeinsamen Gott gefolgt sind«, fuhr er fort, »sondern jeder nur seiner Vorstellung von einem Gott, unterschiedlich von der Vorstellung eines jeden anderen, und daß alles, was sie im Namen dieses Gottes taten, ergo falsch war. Falsch und sündig.«
Blithildis legte die weißen Hände auf die Lehnen des Stuhls und brachte ihren Körper langsam in eine andere Position, weg von Johann und hin zu den geschlossenen Läden des Fensters.
»Zweifelst du an unserer Aufgabe?« fragte sie schroff.
»Ich weiß es nicht. Ist es überhaupt eine Aufgabe? Ich meine, in wessen Sinne? Ich bin gekommen, um mir Klarheit darüber zu verschaffen, ob wir Gott folgen oder einem Kalb. Ob es ein Ziel gibt, das uns eint, das Gültigkeit hat. An dir habe ich nie gezweifelt, Mutter, jedoch –«
»Dann bete mit mir gemeinsam«, wisperte Blithildis.
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