Tod und Teufel. Bundesausgabe.: Ein Krimi aus dem Mittelalter.
Taschen des Mantel. Einige waren noch da, waren nicht herausgerollt bei seinem Sturz vom Baum. Gut so!
Mehr gerettet als das blanke Leben.
So unauffällig wie möglich schlenderte er über den Domhof durch die Drachenpforte. Als er sich noch einmal umdrehte, war von dem schattenhaften Wesen auf dem Gerüst nichts mehr zu sehen.
Einigermaßen erleichtert beschleunigte er seinen Schritt und lief weiter in die Bechergasse.
Der Schatten
Urquhart folgte ihm in einigem Abstand. Er hatte den Umhang über die Haare gezogen und war trotz seiner Größe nurmehr ein Phantom zwischen den geschäftig dahereilenden Menschen, schwarz und unauffällig wie die hereinbrechende Nacht.
Es wäre ein Leichtes gewesen, den Burschen gleich auf der Baustelle zu töten. Urquhart wußte, daß er den Mord beobachtet hatte. Aber Gerhards Tod sollte aussehen wie ein Unfall. Der Meister zerschmettert und neben ihm ein anderer mit einem Bolzen in der Brust – nicht Sinn der Sache. Trotzdem mußte er den unliebsamen Zeugen, der da so unvermutet aus dem Baum geprasselt war, schnell beseitigen, möglichst ein gutes Stück abseits der Dombaustelle und dort, wo nicht so viele Menschen unterwegs waren. Die Armbrust unter seinem Mantel war gespannt, aber im Gewühl des Marktviertels bot sich keine Gelegenheit für einen gezielten Schuß. Immer wieder verschwand der Kopf des Davoneilenden zwischen Passanten, die nach Hause oder zu den Vespergottesdiensten gingen, während er sich eilig stadtauswärts bewegte.
Was hatte Gerhard ihm zugeflüstert? Hatte er überhaupt noch etwas gesagt oder nur Blut zwischen den Zähnen hervorgestoßen, bevor er starb? Aber falls doch, dann trug dieser Kerl jetzt ein Geheimnis mit sich herum. Es stand kaum zu erwarten, daß er es bei sich behalten würde.
Er konnte auf einen Schlag alles verderben.
Urquhart ging schneller, während sein Verstand mit jedem Schritt mehr über den anderen herauszufinden suchte. Beobachtungen fügten sich zusammen wie buntes Glas zu einem Mosaik. Der Mann war rothaarig. Beim Sturz aus dem Baum war ihm der Hut vom Kopf gerissen worden. Im späten Licht hatte Urquhart seinen roten Schopf aufflammen sehen, bevor er zu Gerhard gelaufen war. Er schien in ausgezeichneter körperlicher Verfassung zu sein, mit Sicherheit ein schneller Läufer. Das mußte er auch sein. Wer sich um diese Zeit in den Bäumen des Erzbischofs herumdrückte, war unzweifelhaft ein Dieb, und Diebe konnten rennen wie die Hasen oder baumelten am Galgen. Dieser Dieb war überdies klug. Die Art, wie er in der Menge untergetaucht war, ließ auf einen wachen Verstand schließen, wie auch die Tatsache, daß er sich sofort in die belebtesten Straßen geschlagen hatte, wo man ihm schlechter folgen konnte.
Abgesehen von Urquhart dem Schatten.
Immer noch waren zu viele Menschen in den Straßen. Augenblicklich konnte er den Rothaarigen nur beobachten. Mit etwas Glück, und wenn er Diebesgut unter seinem Mantel trug, würde er sein Versteck aufsuchen, möglicherweise den Platz, an dem er schlief. Solche Plätze waren einsam. Diebe suchten die Einsamkeit aus Angst vor ihresgleichen.
Es sei denn, er besaß eine Bettstatt in einem Kloster. Die Stifte und Hospitäler waren schwer zugänglich. Ihm dorthin zu folgen, war schon schwieriger.
Es galt, keine Zeit mehr zu verlieren.
Urquard faßte unter seinen Umhang und legte die Finger um den Griff der Armbrust. Sie waren jetzt in der Minoritenstraße, kurz vor der Ecke Drusiansgasse. Rechts lag die Klosteranlage der minderen Brüder.
Und plötzlich, von einem Moment auf den anderen, wollte es der Zufall, daß sämtliche Leute in irgendwelchen Hauseingängen verschwanden. Nur vereinzelt sah man hier und da noch jemanden über den schlüpfrigen Untergrund hasten, geduckt gegen den Regen. Dann war die Straße für die Dauer eines Augenblicks menschenleer bis auf den dahineilenden Schlapphutträger, der zuviel gesehen und zuviel gehört hatte.
Urquhart hob den Arm mit der Waffe.
Und ließ sie schnell wieder sinken. Zu spät.
Aus einer Spelunke gegenüber dem Kloster traten vier Männer, allesamt extrem runtergekommen. Einer von ihnen begrüßte den Rothaarigen mit lautem Hallo. Die anderen umringten das Paar, und Urquhart sah nur noch Schultern und Rücken.
Er drückte sich in Hörweite zwischen die Schatten der Mauer um St. Minoriten und wartete.
»Tilman«, rief Jacop. Es war sein Freund vom Entenpfuhl, der da aus der Spelunke stakste. Jacop freute sich. Er hatte die »Henne«
Weitere Kostenlose Bücher