Tod vor der Morgenmesse
erstaunlich.«
Gáeth zögerte einen Moment.
»Ich kenne ihn besser als jeder andere«, meinte er dann achselzuckend.
»Wie das?« fragte Fidelma, als keine weitere Erklärung kam.
»Weil er mein
aite,
mein Pflegevater, ist.«
Eadulf wußte, daß Kinder, wenn sie das siebente Lebensjahr erreicht hatten, in den meisten Fällen von zu Hause fortgeschickt wurden, um unter der Obhut anderer, einer Art |310| Pflegeelternschaft, die man
altrram
nannte, erzogen und ausgebildet zu werden. Das Pflegekind, das
dalta,
blieb bei den Pflegeeltern, bis es siebzehn wurde, zumindest galt das für Jungen. Die Übernahme dieser Art Pflege und Erziehung geschah entweder gegen Bezahlung oder aus Zuneigung. War ein Stammesfürst der
aite,
mußte auch das Kind aus ähnlich auserwählten Kreisen sein. Eadulf war bekannt, daß die Gesetze, die eine solche Pflegschaft regelten, vielfältig und kompliziert waren. Die Pflegschaften führten zu engen Bindungen zwischen den Familien, und meist wurden solche Beziehungen heilig gehalten. Fidelma hatte ihm erzählt, daß in einer Reihe von Fällen ein Mann für seinen Pflegevater oder Pflegebruder freiwillig sein Leben hingegeben hatte. War nicht sogar der große Domnall, König der Uí Néill, der gegen seinen rebellischen Pflegesohn Congal Claen von Dál Riada kämpfte, bei der Schlacht von Magh Rioth erst vor einer Generation darauf bedacht gewesen, Congal, obwohl er sein Todfeind war, nicht zu verletzen?
»Aus Zuneigung oder gegen Bezahlung?« fragte Fidelma.
»Eigentlich hätte Zuneigung eine Rolle spielen sollen, denn meine Familie entstammt der Linie von Duibhne«, antwortete Gáeth. »Aber selbst das Pflegeverhältnis hat die Zweige unserer Familie einander nie nähergebracht. Slébéne war nicht der Mann, der zu seinen leiblichen Söhnen oder einem seiner Pflegekinder eine enge Beziehung aufgebaut hätte.«
»Hatte er viele?«
»Von seinen leiblichen Söhnen ist keiner mehr am Leben. Muß ich mehr sagen? Und was die Pflegekinder angeht, da war außer mir noch der Sohn eines anderen Fürsten von der Ostgrenze. Und außerdem gab es ein Mädchen aus einer Adelsfamilie aus dem Osten. Sie hieß Uallach – ein Name, der zu ihr paßte.«
|311| Eadulf blickte ihn fragend an, und der Schmied erklärte ihm leutselig: »Der Name bedeutet so viel wie ›stolz und arrogant‹. Ich glaube, Uallach hatte ein besseres Verhältnis zu Slébéne als seine Pflegesöhne. Trotzdem sind meines Wissens alle von ihm fort, sobald sie das Alter der Wahl erreicht hatten und gehen durften.«
»War Slébéne, als er jünger war, jemals ein großer Krieger, wie er immer behauptet?« fragte Conrí mit einem Seitenblick auf Fidelma.
»Von seinen Mitstreitern in Schlachten, ich meine die auf der gleichen Seite, lebt nicht einer mehr, der uns Auskunft geben könnte. Nur die Barden, die er bezahlt, singen von seinem Ruhm als junger Krieger.«
»Man hat mir erzählt, daß er an der rechten Seite meines Vaters Failbe Flann gekämpft hat.«
»Wenn es wirklich an dem ist und dein Vater überlebt hat, Lady, dann hat er Glück gehabt.«
»In deiner Stimme liegt Bitterkeit.«
»Eine Bitterkeit, die mich mein Pflegevater gelehrt hat.«
Der Bemerkung folgte unbehagliches Schweigen.
»Wann hast du dein jetziges Handwerk gelernt?« fragte Fidelma.
»Als ich Kind war, hab ich dem Schmied von Slébéne bei der Arbeit zugesehen. Ich habe mit ihm mehr Zeit zugebracht als mit Slébéne selbst. Ständig dessen großspurigem Gerede von seiner Tapferkeit in Schlachten ausgesetzt zu sein war schlimm genug, aber Unterweisungen im Gebrauch von Waffen mitmachen zu müssen, wo doch jeder Hasenfuß ihn hätte herausfordern und schlagen können, war noch weniger zu ertragen. Sobald ich nur konnte, kratzte ich mir den Dreck seiner Burg von den Füßen, betete zu Brigit …«
»Ich denke, du bist Heide«, unterbrach ihn Eadulf.
|312| »Ich spreche nicht von Brigit von Kildare, der Christin«, erwiderte Gáeth gönnerhaft. »Ich spreche von Brigit, der dreieinigen Tochter des Dagda, dem Guten Gott, von Brigit, Göttin der Weisheit und Dichtung, Brigit, Göttin der Medizin, und Brigit, Göttin der Schmiede und der Schmiedekunst. Sie hat meine Schritte gelenkt über versteckte Gebirgspässe unterhalb des An Cnapán Mór und hinauf zum Schwarzen See, hoch oben in den Bergen, an dessen Ufern ich meinen Meister fand, Cosrach, den Triumphierenden. Zehn Jahre habe ich an seinem Amboß verbracht, bis er mir den
flaith-goba
zuerkannte, den
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