Todesflut: Thriller
Straße hinunterschlenderten. Kai kochte, aber er wusste, dass dieses Verhalten für Evakuierungen typisch war.
Der Besitzer des Lexus, ein tief gebräunter Mann im ärmellosen Hemd, der sein spärliches Haar seitlich über die Glatze gekämmt trug, hatte seine Seitenscheibe heruntergelassen. Beim Reden warf er immer wieder kurze Blicke in Richtung Ozean. Kai ging davon aus, dass er sich sorgte, er könne bei Eintreffen des Tsunamis noch im Auto sitzen.
»Sir«, fragte der Reporter, »glauben Sie, dass Sie bei diesem Verkehr rechtzeitig sicheres Gelände erreichen können?«
»Ach, ich werde mich in Sicherheit bringen«, antwortete er, schaute aber nach wie vor ständig zum Ozean. »Ich fahre zu meinem Segelboot in der Marina von Ala Wai. Ich will nicht miterleben, wie es wegen des blöden Tsunamis untergeht.«
»Wollen Sie es nach Hause holen?«
»Nein, ich habe keinen Anhänger. Ich fahre hinaus aufs Meer. Ich muss schließlich mein Eigentum schützen.«
»Und was ist mit Ihrem Auto?«
»Mit meinem Auto?« Er sah völlig verblüfft aus der Wäsche.
»Ja, Sie werden es im Sporthafen stehen lassen müssen, oder?«
»Verdammt!«, brüllte er und schlug aufs Lenkrad. »Ich hab es doch gewusst! Ich hätte meinen Sohn mitnehmen sollen.«
Die Kamera schwenkte wieder zu dem Reporter hinüber, doch Kai hatte genug gesehen. Er wandte sich an Reggie.
»Die Leute haben es nicht kapiert. Wir müssen unbedingt etwas unternehmen.«
»Was denn? Unsere Überflutungskarten sind nicht mehr zu gebrauchen. Selbst wenn wir in den nächsten Minuten neue machten, könnten wir sie nicht mehr unter die Leute bringen. Außerdem wissen wir ja noch nicht einmal genau, wie hoch die größte Welle sein wird.«
Kai seufzte. Die alten Karten waren nicht nur nutzlos, sie waren sogar gefährlich. Wer sich daran orientierte, wähnte sich in Sicherheit, ohne es zu sein.
Er hatte allerdings den Eindruck, als befolgten einige Leute noch nicht einmal die Standardanweisungen. Was würde es nützen, wenn man sie darüber aufklärte, dass sie nicht länger aktuell waren? Sie begriffen sowieso nicht, in welcher Gefahr sie schwebten. Wenn Kai sich nicht schnellstens etwas einfallen ließ, würde es massenhaft Tote geben.
Brad, der sich um das Telefon gekümmert hatte, kam in die Zentrale zurück. Als er von seinem Gespräch mit Teresa berichtete, erbleichte Kai. Seine eigene Tochter war da draußen unterwegs, und er hatte keine Ahnung, ob sie in Lebensgefahr schwebte oder nicht. Nun betraf ihn diese verdammte Katastrophe auch noch ganz persönlich!
»Können wir denn gar nichts tun? Die Polizei anrufen, damit sie sie sucht?«, sagte Brad.
»Soll das ein Witz sein?«, entgegnete Reggie. »Die Hälfte der Bevölkerung ruft wahrscheinlich gerade bei der Polizei an.«
»Wir müssen aber doch etwas tun! Wie ist es mit der Gouverneurin? Sie hat uns ihre Hilfe angeboten, falls wir sie brauchen.«
»Das sieht aber toll aus, wenn wir persönlichen Vorteil aus unseren Verbindungen schlagen, während der Rest der Leute sich alleine durchboxen muss.«
Brad stürzte sich auf Reggie, der zehn Zentimeter größer war als Brad und hundert Pfund mehr wog. »Es ist mir scheißegal, wie es aussieht! Es geht um meine Nichte!«
Reggies Gesicht war höhnisch verzerrt, und Kai schob sich zwischen die beiden, bevor die Situation eskalierte.
»He! He!«, sagte er und zog Brad zurück. »Easy, Junge. Wir stehen hier alle unter Strom, aber halten wir den Ball flach!«
Brads Gedanke war verlockend, aber selbst wenn er die Polizei oder die Gouverneurin anrief, welche Informationen konnte er ihnen geben? Er wusste ja noch nicht einmal, ob die Mädchen in Waikiki waren.
»Wir rufen nicht an«, sagte er. »Die Polizei macht ihre Arbeit und erfüllt ihre Pflicht. Genau wie ich.«
Kai konnte nur hoffen, dass Teresa die Mädchen rechtzeitig fand oder sie ihn von einem sicheren Ort aus anriefen, sofern sie überhaupt wussten, wo es sicher war.
Reggie wandte sich wieder seinem Rechner zu. Kai begleitete Brad zur anderen Seite des Zimmers.
»Brad«, begann er, »ich möchte dir für alles danken, was du heute tust.«
»Du hast Glück, dass ich frei habe. Und meine Mitarbeiter brauche ich auch nicht zu warnen. Sie haben heute ebenfalls frei.«
Kai begriff, was er sagen wollte. Die Büros von Hopkins Realty lagen gegenüber dem Ala-Moana-Einkaufszentrum, nur wenige hundert Meter vom Strand von Waikiki entfernt. Brad mochte nach außen hin so tun, als sei ihm sein
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