Todesreigen
Aufregung als wegen der Hitze – und wischte sich mit einer Serviette die Feuchtigkeit aus dem Gesicht und aus seinen kurzen blonden Haaren.
Das Telefon klingelte, und Mo ging an den Apparat.
Sie kam zurück und sagte mit säuerlicher Stimme: »Es ist dein
Vater
.« Dann setzte sie sich ohne ein weiteres Wort wieder hin und widmete sich erneut ihrem Drink und der Betrachtung ihrer Fingernägel.
Pete stand auf und ging in die Küche. Sein Vater lebte in Wisconsin, nicht weit vom Lake Michigan entfernt. Er liebte den Mann und wünschte, sie würden näher beieinander wohnen. Mo dagegen mochte ihn überhaupt nicht und machte jedes Mal ein Theater, wenn Pete ihn besuchen wollte. Dabei war es Pete niemals ganz klar, worin das Problem zwischen Mo und seinem Vater bestand. Es machte ihn jedenfalls wütend, dass sie ihn so schlecht behandelte und nie mit Pete darüber sprach.
Außerdem ärgerte es ihn, dass Mo ihn selbst ins Zentrum der Schwierigkeiten stellte. Manchmal fühlte Pete sich schon schuldig, bloß weil er einen Vater
hatte
.
Er genoss das Gespräch, machte aber nach fünf Minuten Schluss, weil er das Gefühl hatte, dass Mo nicht wollte, dass er telefonierte.
Pete trat hinaus auf die Veranda. »Ich werde Doug am Samstag besuchen.«
Mo sagte: »Samstag passt mir gut.«
Gut…
Sie gingen hinein und sahen eine Weile fern. Um elf schaute Mo auf die Uhr, streckte sich und erklärte: »Es wird spät. Zeit zum Schlafen.«
Und wenn Mo sagte, es wäre Zeit zum Schlafen, dann war es auch Zeit zum Schlafen.
Später in der Nacht, als sie schon schlief, ging Pete nach unten ins Arbeitszimmer. Er griff hinter eine Reihe Bücher in dem eingebauten Regal und zog einen großen, versiegelten Umschlag hervor.
Er nahm ihn mit in seine Kellerwerkstatt, öffnete ihn und zog ein Buch heraus. Es hieß
Dreieck
. Pete hatte es in einem Antiquariat in der Stadt gefunden, in einer Abteilung mit Sachbüchern zum Thema Verbrechen. Vor dem Kauf hatte er ungefähr zwanzig Bücher durchgeblättert, die sich mit realen Mordfällen beschäftigten. Nie zuvor im Leben hatte Pete etwas gestohlen, doch an diesem Tag hatte er einen schnellen Blick durch den Laden geworfen und das Buch in seine Windjacke gesteckt. Dann war er gemütlich aus dem Laden geschlendert. Er hatte es stehlen
müssen
; er hatte Angst, dass – wenn sein Plan aufginge – der Verkäufer sich später an ihn erinnern und der Polizei einen Hinweis geben könnte.
Dreieck
war die Geschichte eines Paares in Colorado Springs. Die Frau war mit einem Mann namens Roy verheiratet. Daneben allerdings traf sie heimlich einen anderen Mann – Hank, einen örtlichen Zimmermann und Freund der Familie. Roy kam dahinter und wartete so lange, bis Hank eine Bergwanderung machte; dabei lauerte er ihm auf und stieß ihn über einen Felsvorsprung. Hank griff nach einer Baumwurzel, verlor aber den Halt – vielleicht hatte Roy auch seine Hände zertrümmert; das war nicht ganz klar – und stürzte in das dreißig Meter tiefe, felsige Tal. Roy ging nach Hause und trank etwas mit seiner Frau, weil er ihre Reaktion auf die Todesnachricht beobachten wollte.
Pete wusste nicht das Geringste über Verbrechen. Alles, was er wusste, stammte aus dem Fernsehen oder aus Filmen. Dort waren die Kriminellen grundsätzlich nicht besonders clever und wurden am Ende von den Guten geschnappt, auch wenn
diese
ihrerseits nur unwesentlich cleverer wirkten als die Bösen. Das Verbrechen in Colorado jedenfalls war geschickt eingefädelt, weil es keine Mordwaffe und nur ganz wenige Hinweise gab. Der einzige Grund, aus dem Roy schließlich doch erwischt wurde, bestand darin, dass er nicht an potenzielle Zeugen gedacht hatte.
Hätte der Mörder sich nur die Zeit genommen, sich einmal umzuschauen, dann hätte er die Camper bemerkt, die beste Sicht auf Hank Gibson und seinen von einem Schrei begleiteten Sturz in den blutigen Tod hatten. Und ebenso freie Sicht auf Roy, der auf dem Felsen stand und seinem Opfer hinterherschaute…
Dreieck
wurde Petes Bibel. Er las es von vorn bis hinten durch – um zu verstehen, wie Roy das Verbrechen geplant und wie die Polizei ihre Untersuchung angelegt hatte.
Jetzt, während Mo schlief, las er das Buch noch einmal. Besondere Aufmerksamkeit widmete er den Passagen, die er unterstrichen hatte. Dann ging er wieder hinauf, packte das Buch ganz unten in seinen Koffer und legte sich auf das Sofa in seinem Büro. Von dort schaute er hinaus in den dunstigen sommerlichen Sternenhimmel
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