Todesschiff: Ein Island-Krimi (German Edition)
der Wand standen eine Kühltruhe und ein Weinkühler, und Ægir schauerte bei der Vorstellung, die Truhe aufzumachen. Halli schritt sofort zur Tat und klopfte die Wand hinter den Regalen ab, um zu überprüfen, ob es dahinter einen Hohlraum gab. Ægir schob völlig willkürlich ein paar Pappkartons zur Seite, die viel zu klein waren, um sich darin zu verstecken. Er hatte einfach das Gefühl, etwas tun zu müssen.
»Hier ist niemand«, sagte er, fasste sich ein Herz und öffnete die Kühltruhe. Doch es schlug ihm keine Kälte entgegen, sondern ein ekelhafter Gestank, der sich auf widerliche Weise mit dem Parfümgeruch vermischte. Ægir hielt sich die Nase zu und blickte in die Kühltruhe. Sie war vollgestopft mit verpacktem Fleisch und Gemüse, das bestimmt nicht mehr genießbar war.
»Mach das zu!«, rief Halli und vergrub seine Nase in der Armbeuge. »Wir haben dieses Ungetüm abgeschaltet, um Strom zu sparen. Mach zu oder ich kotze!«
Ægir ließ den Deckel fallen. Dann beeilte er sich, aus der Kammer zu kommen, und fragte Þráinn:
»Was jetzt? Wir haben die ganze Yacht durchsucht. Hier ist niemand.«
»Wir müssen noch nach unten zu den Tanks.« Þráinn hatte rote Augen vor Müdigkeit und sah aus wie ein Vampir in einem Horrorfilm. »Da sollten wir auch noch nachschauen, sonst war die ganze Sucherei sinnlos.«
»Na, dann bringen wir es hinter uns«, sagte Ægir. Er war müde, obwohl er keineswegs schon so lange wach war wie Þráinn. Doch es war anstrengend, ständig auf der Hut sein zu müssen. »Ich will zu Lára und den Mädchen.«
»Denen passiert schon nichts. Das, wovor sie am ehesten Angst haben müssten, ist hier unten bei uns. Einer von uns, sozusagen.« Þráinn schloss kurz die Augen, klopfte sich dann auf die Oberschenkel und stand auf. »Am besten bringen wir diesen verdammten Quatsch hinter uns.«
Ægir drehte sich um und wollte nach Halli rufen, wurde jedoch von einem seltsamen, durchdringenden Geräusch, das zwischen den Stahlwänden hallte, davon abgehalten.
»Was war das?«
Als er aufschaute, rannte Þráinn schon Richtung Ausgang. Ohne sich umzudrehen, rief er:
»Ein Schuss! Wahrscheinlich von der Brücke!«
Der unnatürliche, süßliche Parfümgeruch wurde stärker, und Ægir meinte zu ersticken. Dann rannte er Þráinn hinterher, als sei ihm der Teufel auf den Fersen.
24. Kapitel
Die Kopien aus dem Logbuch lagen wie Treibgut auf Dóras Schreibtisch verstreut. Die Polizei hatte ihr die Seiten ausgehändigt, aber sie schienen willkürlich zusammengestellt worden zu sein, so dass sie sie selbst chronologisch ordnen musste. Die Einträge waren zwar mit Datum versehen, aber es wurde schwierig, wenn sich ein Tag über mehrere Seiten zog. Und die fehlenden Doppelseiten machten es nicht leichter – wahrscheinlich waren die am wichtigsten gewesen. Seltsam, dass das Buch nicht komplett über Bord geworfen worden war.
Der handschriftliche Text überraschte Dóra trotzdem, denn es war unheimlich, die Schrift eines Mannes zu entziffern, der verschwunden und höchstwahrscheinlich tot war. Sie las seine Anmerkungen vom Anfang der Fahrt über den Zustand der Geräte und der Yacht selbst – seiner Meinung nach war sie gut in Schuss –, über die Wetteraussichten und die Anzahl der Leute an Bord, die davon ausgegangen waren, fünf angenehme Tage vor sich zu haben. Nichts an diesem ersten Eintrag wies darauf hin, dass ihr Schicksal besiegelt war, im Gegenteil, alles schien bestens zu sein. Der Kapitän erwähnte zwar, dass das Siegel an der Tür der Yacht aufgebrochen gewesen sei, schien sich aber nicht viel daraus zu machen, es habe keine Anzeichen eines Einbruchs und keine Beschädigungen gegeben. Er schien sich auch keine Gedanken darüber zu machen, ob die Person, die das Siegel aufgebrochen hatte, einen Schlüssel besaß. Warum sollte man einbrechen, wenn man die Tür aufschließen konnte? Es reichte ja, das Siegel durchzuschneiden und den Schlüssel ins Schloss zu stecken.
Darauf folgte eine kurze Erklärung, warum Passagiere mit an Bord seien, sowie einige besorgte Worte, dass man die Sicherheit der beiden Mädchen gewährleisten müsse. Auch wenn der Kapitän sich nicht dazu hinreißen ließ, Snævar wegen seines Unfalls Vorwürfe zu machen, konnte man zwischen den Zeilen lesen, dass er sauer auf ihn war. Es missfiel ihm, Ægir als Vertretung mitzunehmen, aber er musste es tun, um die Anforderungen bezüglich der Mannschaftsgröße erfüllen und den Fahrplan einhalten zu können.
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