Todesschiff: Ein Island-Krimi (German Edition)
austrocknete und sein Kopf heiß wurde. Fast wäre er wieder zusammengebrochen, er schwieg, während er das letzte bisschen Energie sammelte, das er noch hatte.
»Mama hat sich verletzt.«
Ægir zog die Mädchen an sich. Er konnte das Weinen nicht länger unterdrücken und wollte nicht, dass sie sahen, wie schlecht es ihm ging. Die Tränen tropften in ihre Haare, die nach dem Erdbeershampoo rochen, das die Mädchen sich in Lissabon im Supermarkt ausgesucht hatten. Wenn sie doch nur dorthin zurückkämen, wenn er das alles ungeschehen machen könnte. Er schniefte und versuchte so gut es ging, sich zusammenzunehmen. Er hatte nicht mehr geweint, seit er ein kleiner Junge war.
»Hat die Pistole in Mama reingeschossen?«, fragte Arna, während die schmächtigen Arme der Schwestern ihn fest umfassten und drückten. Es war, als wollten sie die richtige Antwort aus ihm herauspressen. Aber die richtige Antwort war falsch.
»Nur ein bisschen, mein Schatz. Sie hat nur ein bisschen in sie reingeschossen. Aber nicht viel, und Þráinn und Halli bringen das in Ordnung.«
Was hatte Þráinn sich nur dabei gedacht, Lára einen Revolver zu geben? Und warum hatte er nicht eingegriffen? Er hätte wissen müssen, dass das nicht gutgehen würde, an Bord dieser schwimmenden Hölle würde nichts gut ausgehen.
Die Tür hinter ihm öffnete sich, und Arna und Bylgja klammerten sich noch fester an ihn.
»Kann ich kurz mit dir reden, Ægir? Unter vier Augen«, fragte Halli völlig emotionslos, was alles noch schlimmer machte.
»Wartet hier, Mädchen, ich bin gleich zurück, ich gehe nicht weit. Alles wird gut.«
Ægir löste sich aus ihrem Griff und ließ die Zwillinge mit verzweifelten Gesichtern zurück.
»Bitte, sag mir, dass ihr die Blutungen gestoppt habt!«, flehte Ægir und hätte sich am liebsten vor Halli auf die Knie geworfen, als könne das etwas bewirken. »Bitte!«
Halli sah ihm nicht in die Augen, sondern starrte auf seine Zehen.
»Wir haben sie ins Wohnzimmer gebracht. Am besten gehst du zu ihr. Ich warte so lange bei den Mädchen.«
»Nein.«
Ægir straffte seinen Rücken und merkte, wie sich seine Fäuste ballten. Er hätte Halli am liebsten ins Gesicht geschlagen, bis es unkenntlich war und ihm nicht mehr sagen konnte, was er nicht hören wollte.
»Du bleibst nicht bei den Mädchen!« Seine Gedanken spielten verrückt. Lára, die Mädchen. Er musste auf sie aufpassen. Nicht Halli. »Ich lasse die Mädchen nicht aus den Augen. Sie müssen mitkommen.«
»Ich weiß nicht, ob das eine gute Idee ist.« Halli starrte immer noch auf den Boden, als hätte er ein dringendes Anliegen mit seinen Schuhen, anstatt mit Ægir. »Kommt nicht in Frage.«
Ægir öffnete den Mund, wollte etwas sagen, schreien, doch in der kalten Luft wurde er plötzlich ganz matt. Es war sinnlos, zu schreien oder um sich zu treten, es änderte nichts.
»Wenn ihnen etwas zustößt, steche ich dir die Augen aus, Halli«, sagte er ohne Wut, beschrieb einfach nur die Tatsachen.
»Ich passe auf sie auf. Eher krepiere ich, als dass ihnen jemand was antut«, entgegnete Halli, sich dessen bewusst, dass der Mann, der vor ihm stand, kurz davor war, zusammenzubrechen. Er klopfte Ægir verlegen auf die Schulter, ging auf die Brücke und ließ ihn stehen.
Ægir hätte noch einmal den Kopf durch die Tür stecken und den Mädchen sagen sollen, dass sie mit Halli warten sollten, während ihr Papa mit ihrer Mama redete, aber er brachte es nicht über sich. Er konnte nur noch an eine Sache denken, und das war Lára, die entweder tot oder sterbend im Wohnzimmer an Bord einer Yacht mitten auf dem Atlantik lag, unendlich weit von ärztlicher Hilfe entfernt, die ihr womöglich das Leben retten könnte. Ein tiefer Seufzer entfuhr ihm, als er ins Wohnzimmer kam und Lára dort liegen sah.
Er eilte zu ihr und stieß sich so heftig das Schienbein am Sofatisch, den Þráinn und Halli verschoben hatten, dass er fast gestürzt wäre. Die Malbücher der Mädchen schlitterten über den Tisch, und ein paar Stifte rollten auf den Fußboden. Der Kapitän packte Ægir im letzten Moment am Arm und hinderte ihn am Hinfallen.
»Danke.«
Diese Höflichkeitsfloskel war so lächerlich angesichts der Situation, dass Ægir fast aufgelacht hätte. Die Prägung durch seine Mutter in seiner Kindheit saß offenbar so tief, dass sie stärker war als der schlimmste Schock.
»Sie döst.« Þráinn hielt immer noch Ægirs Arm fest und zwang ihn, ihm ins Gesicht zu schauen. »Ich weiß
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