Todesschiff: Ein Island-Krimi (German Edition)
lebt keiner mehr. Das kann doch wohl niemand behaupten.«
Dóra verschränkte die Arme vor der Brust.
»Ich stimme Ihnen in gewisser Weise zu, aber es ist manchmal unglaublich, was Menschen alles aushalten.«
Snævar schüttelte den Kopf.
»Ausgeschlossen, dass sie irgendwo in einem Rettungsboot auf dem Meer treiben, falls Sie das meinen. Das wäre längst untergegangen, das können Sie vergessen.«
»Ja, wahrscheinlich.«
Dóra musste ihm recht geben: Es waren bestimmt alle tot, zumal die offizielle Suche beendet war. Über dem Gebiet, in dem die Yacht unterwegs gewesen war, kreisten keine Hubschrauber mehr. Stattdessen wurden jetzt die Küsten abgesucht – nach Leichen.
»Wann haben Sie zuletzt von Ihrem Freund Halldór gehört? Ægir und seine Familie haben in Island angerufen, als die Yacht in Lissabon ausgelaufen ist. Hat Halldór sich nach der Abfahrt noch mal bei Ihnen gemeldet?«
»Nein«, sagte Snævar, ohne lange nachzudenken. »Bevor er gefahren ist, hat er noch Schmerztabletten, Getränke, Süßigkeiten und so was für mich gekauft, und dann haben wir uns am Tag vor der Abfahrt im Hotel voneinander verabschiedet. Danach hab ich nichts mehr von ihm gehört. Er war echt super, hat mir ein Flugticket nach Hause gekauft und so. Wir hatten keinen Laptop dabei, deshalb konnte ich es nicht selbst machen. Zum Glück gab es in der Lobby einen Computer. Und jetzt weiß ich nicht so recht, wie ich es wiedergutmachen soll. Ich kann doch keinen Kontakt zu seiner Familie aufnehmen, solange sie noch hoffen, ihn zu finden. Da warte ich lieber noch ein bisschen. Ich hab nur Angst, es zu vergessen, und dann wundern sie sich vielleicht, wenn die Kreditkartenabrechnung kommt.«
Dóra suchte aus dem Papierstapel die Reiseunterlagen heraus, die sie beim ersten Durchblättern gesehen hatte. Sie fand eine Quittung von Expedia für einen Flug über London nach Island. Der Name des Karteninhabers war Halldór Þorsteinsson. Dóra zeigte ihm die Quittung.
»Die gebe ich Ihnen wieder, wenn ich sie kopiert habe, damit Sie es nicht vergessen.« Sie legte den Stapel beiseite und sagte: »Ich habe noch eine Frage, die vielleicht ein bisschen seltsam klingt. Hatte Halldór kein Handy dabei? Oder einen Fotoapparat?«
Snævar schaute sie an, als sei sie nicht ganz dicht.
»Doch, klar hatte er ein Handy dabei. Aber bestimmt keinen Fotoapparat. Habe ich jedenfalls nicht gesehen. In seinem Handy war vielleicht einer, aber warum hätte er Fotos machen sollen?« Er legte den Kopf schräg. »Warum fragen Sie?«
»Ach, nur so. An Bord wurden keine Handys oder Kameras gefunden. Ich finde das ziemlich merkwürdig. Wenn die Leute das Schiff plötzlich verlassen haben, muss doch in der Hektik mindestens einer sein Handy vergessen haben, ganz zu schweigen davon, wenn sie über Bord gespült wurden«, antwortete Dóra und wechselte rasch das Thema. »Und Sie haben nie überlegt, selbst mitzufahren? Anstatt zu fliegen und im Hotel rumhängen zu müssen? Sie hätten doch bestimmt auch mit dem Gipsbein mal eine Wache auf der Brücke übernehmen können, oder?«
»An den ersten beiden Tagen wäre ich wohl keine große Hilfe gewesen, aber danach hätte ich schon was machen können, da haben Sie recht. Ich bin nach drei Tagen nach Hause geflogen, und der Flug war genauso anstrengend, wie an Bord mal eine Wache zu übernehmen. Ich weiß noch, dass ich mich geärgert habe, als Halli weg war. Wir hätten gut auf der Yacht übernachten können, anstatt Geld für ein Hotel auszugeben. Sie hätten mich bestimmt mitfahren lassen. Aber jetzt bin ich natürlich heilfroh, das können Sie sich ja denken.«
»Wäre das denn möglich gewesen?«
»Ja, klar. Wir hatten die Schlüssel, und sicher hätte niemand was dagegen gesagt. Wir sollten alles fertigmachen und die Geräte und die Ausrüstung kontrollieren, bevor die anderen an Bord kämen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass jemand was dagegen gehabt hätte. Aber wie gesagt, jetzt bin ich total froh, dass mir das erst später eingefallen ist.«
»Haben Sie den Kapitän angerufen und gefragt?«
»Nein, ich wollte nicht mit ihm reden, weil er so sauer war. Ich hab schon vor langer Zeit gelernt, dass man nicht vernünftig mit jemandem reden kann, wenn er eingeschnappt ist. Halli hat ihn darauf angesprochen, aber er wollte nicht. Da war wohl schon vereinbart, dass die Familie mitfährt. Ich muss gestehen, dass ich jetzt heilfroh bin, dass Halli nicht insistiert hat. Die Schmerzen im Bein sind nichts
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