Todesstoß / Thriller
sich, sich nichts anmerken zu lassen. »Und wenn ich Ihnen sagte, dass das zu persönlich ist?«
»Dann müsste ich es akzeptieren. Ich weiß, wie es ist, wenn man Dinge für sich behalten möchte.«
Aber er hatte ihr ein Geheimnis verraten, und sie fühlte sich verpflichtet, dieses Vertrauen zu erwidern. »Ich habe gelogen«, sagte sie schlicht. »Ich bin sehr wohl gebrochen. Und daher nicht zu haben.«
Ein Muskel in seinem angespannten Kiefer zuckte. »Das glaube ich nicht.«
Ihre Kehle verengte sich. »Sie kennen mich doch gar nicht.«
Er schwieg einen Moment lang. »Das stimmt natürlich. Aber das kann man ändern. Erlauben Sie mir doch einfach, Sie kennenzulernen.«
»Sie können sich nicht vorstellen, wie sehr ich mir wünschte, dass es möglich wäre«, sagte sie. Ihre Stimme bebte, aber sie schaffte es, sich zusammenzureißen. »Aber es geht nicht, und ich wäre wirklich froh, wenn Sie das akzeptieren würden. Ich helfe Ihnen gern bei dem Fall, und ich tue auch alles, was ich kann, aber mehr eben nicht. Es tut mir leid.«
Sie sah, dass er schluckte. »Also gut«, brachte er schließlich gepresst hervor. »Dann erzählen Sie mir von den Frauen in Ihrer Studie, die nach der virtuellen Welt süchtig werden.«
»Warum?«
»Weil Ihre Studie die Verbindung ist, Eve. Wer immer mindestens zwei der Frauen getötet hat, hat ihnen im Spiel aufgelauert. Er versteht sie oder wenigstens diese Facette ihrer Persönlichkeit. Um ihn zu schnappen, muss ich denken wie er. Also helfen Sie mir bitte, die Opfer so zu sehen, wie er es tut.«
Sie hätte fast gelächelt. Wenn sie ihm dabei half, die Opfer zu verstehen, würde sie viel von sich preisgeben müssen. Und sie war sich sehr sicher, dass er das wusste. »Also gut. Das kann ich tun.«
Montag, 22. Februar, 22.00 Uhr
Miststück.
Er wandte sich um und ließ den billig behängten, platinblonden Zicken-Avatar stehen. Einen Moment lang war er versucht, seinen ursprünglichen Plan aufzugeben und das blöde Weib, das sich hinter der sexy Hülle versteckte, als Nächstes abzumurksen, wo immer sie wohnte.
Verpiss dich,
hatte sie gesagt. Frauen konnten unglaublich unhöflich sein, wenn sie es in der Anonymität tun durften. Dabei hatte er ihr gar keinen ausgeben wollen. Es war einfach nur seine Methode, seinen Avatar in Bewegung zu halten. Im Ninth Circle erregte jemand, der stehenblieb, Aufmerksamkeit. Er wollte keine Aufmerksamkeit.
Er war wütend, weil er Eve nicht erwischt hatte, noch wütender, weil er gezwungen gewesen war, aus ihrer Wohnung zu fliehen. Nun saß er noch immer im Auto und wartete. Er hatte sich schon in Shadowland eingeloggt, noch bevor er sich wieder ganz beruhigt hatte. Doch auf diese Art machte man Fehler. Und er konnte sich keine Fehler leisten.
Die blonde Schlampe stand nicht auf seiner Liste. Er bahnte sich einen Weg durch die Menge und suchte diejenige, deretwegen er eigentlich hergekommen war. Rachel Ward. Auf sie freute er sich schon lange.
Rachel hatte früh geheiratet, die Ehe hatte jedoch keine fünf Jahre gehalten. Während ihr Mann, ein LKW -Fahrer, auf Tour war, vertrieb sie sich die Langeweile mit Affären. Als ihr Mann das herausfand, setzte er das Motel, in dem Rachel ihren Liebhaber empfing, in Brand.
Der Liebhaber überlebte das Feuer nicht, und Rachel erlitt eine Rauchvergiftung, der sie fast erlag. Nun, fünf Jahre später, war ihr Mann immer noch in Haft, und Rachel fürchtete sich verständlicherweise vor Feuer.
Sie arbeitete viel am Tag, aber am Abend und nachts spielte sie in der virtuellen Welt. Sie war Delilah, eine Nachtklubtänzerin, die vier Mal die Woche im Casino Royale auftrat. Heute hatte sie frei, was bedeutete, dass er sie hier, im Ninth Circle antreffen würde. Sie würde mit demjenigen, der ihr als Erster einen Drink ausgab, nach »Hause« gehen. Er war schon öfter der Erste gewesen.
Und sie war voll auf sein gefühlsduseliges Geschwätz danach hereingefallen. Er sei so schüchtern, hatte er ihr gestanden, und zwar bei Frauen allgemein. Deswegen hatte er auch noch nie ein echtes Date gehabt, deswegen arbeitete er so viel. Er sei die ganze Woche unterwegs und verbrachte seine einsamen Nächte in billigen Motels damit, in die virtuelle Welt einzutauchen und dort zu tanzen und Sex zu haben. Virtuellen Sex natürlich.
Sie hatte ihn bemitleidet und gestanden, dass auch sie einsam war. Und bedürftig und hungrig nach Liebe.
Das konnte er sich vorstellen. Nachdem sie eine lange Zeit so aktiv gewesen war,
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