Todestanz

Spielplatz. Clare fing sein Handgelenk ab, bevor er das Bild schließen konnte.
    Â»Ãœber Yasmin. Diese Unterhaltung hätten wir längst führen sollen.«
    Â»Sie täuschen sich, Dr. Hart«, beteuerte er. »Ich weiß wirklich nicht, wo sie ist. Wenn ich es wüsste, hätte ich es Ihnen erzählt. Ich liebe das Kind. Genau wie ich …«
    Â»Genau wie Sie was?« Clare machte einen Schritt auf ihn zu. Er versuchte vor ihr zurückzuweichen, aber die Rückenlehne seines Stuhles drückte schon gegen die Schreibtischkante.
»Genau wie Sie Calvaleen geliebt haben? Was ist mit all den Fotos? Ich finde, Sie sollten mir zeigen, was Sie alles in Ihrem Computer haben.«
    Â»Nichts«, sagte er. »Nur Dokumente.«
    Â»Ich will sie durchsehen.«
    Er scrollte durch die Liste und öffnete dabei Dokumente und Briefe.
    Â»Der da«, sagte Clare. »Machen Sie diesen Ordner auf.«
    Er klickte auf das Icon. Hunderte von Videoclips.
    Â»Selbstgedrehte Filmchen?«, fragte Clare.
    Â»Es ist nicht das, was Sie glauben.«
    Â»Ich glaube nicht, dass Sie auch nur eine Vorstellung davon haben, was ich glaube, Harries. Machen Sie das da auf.«
    Er klickte die Datei an. Die Kamera war auf die sorgsam übereinandergefalteten Kinderhände und die bis aufs Blut abgekauten Fingernägel gerichtet. Die Kamera entfernte sich, als die Tänzerin die Arme bewegte und den Rumpf hob. Sie hatte den Hals gebeugt und das schwarze Haar zu einem strassbesetzten Nackenknoten geschlungen. Yasmin blickte aus dem Bild heraus und Clare an. Dann hob sie die Arme über den Kopf, drehte sich zur Seite und lächelte ein älteres Mädchen mit glattem dunklem Haar an, dem der Tüllrock bei seinem Sprung um die Schenkel flatterte. Calvaleen.
    Â»Sie können sich jeden Einzelnen davon ansehen. Keiner davon wird Sie zu Yasmin führen.«
    Â»Ich möchte, dass Sie sich das hier ansehen«, sagte Clare. »Aufgenommen vor der New Beginnings Clinic.«
    Â»Ein grandioser Name«, meinte Mister Henry. »Wie jener der Township, in der ich aufgewachsen bin. Ocean View . Das Meer bekam man dort höchstens zu sehen, wenn man eine Postkarte geschickt bekam.«
    Clare schob die Disk ins Laufwerk.
    Das Überwachungsband flackerte auf dem Bildschirm auf.
Die Kamera an der Straßenecke erfasste auch den Eingang zur Klinik. Die eingeblendete Uhrzeit: siebzehn Uhr fünfundvierzig. Ein wie ein Banker gekleideter Mann kam, einen Aktenkoffer in der Hand, die Straße entlang. Er drückte auf die Klingel und sprach in die Gegensprechanlage. Das Tor glitt zur Seite, um ihm Zutritt zu gewähren. Noch ein Mann. Dann noch einer. Einer in einem rosa Golfhemd. Ein älterer Mann mit braunen Hosen, die schlaff über seinen dürren Hintern hingen. Zwei Männer, die gemeinsam kamen. Blaue Hemden, beige Hosen. Nicht voneinander zu unterscheiden. Lauter Männer, die an der Peripherie des Lebens zahlloser einsamer Kinder lauerten. Einer im blauen Overall. Einige mit fröhlich gemusterten Hemden, die wie Lehrer aussahen. Dann, schon nach sechs und damit zu spät, ein großer, hinkender Mann allein. Mr Henry.
    Clare hielt die Aufzeichnung an. »New Beginnings. Die einzige Institution in Kapstadt, die auf Sexualtäter spezialisiert ist.«
    Â»Sie täuschen sich, Dr. Hart.«
    Â»Sexualtäter sind wie Politiker«, sagte Clare. »Selbst an guten Tagen werden höchstens sieben Prozent von ihnen verurteilt. So wie ich es sehe, sind Sie keineswegs unschuldig, nur weil Sie freigesprochen worden sind.«
    Henry lachte bitter und flach.
    Â»Ich will mal sehen, ob ich Ihnen das verständlich machen kann. Der Schrank da.« Er deutete darauf. »Sehen Sie hinein.«
    Clare öffnete den Schrank. Darin hingen abgewetzte Ballettschuhe verdreht an ihren Haken, die langen Bänder schlaff wie blasse, fahle Blätter auf dem rosa Satin. Henry hängte ein Paar ab und reichte es ihr.
    Â»Von Calvaleen.« Er drehte den Satin von innen nach außen. Dann streckte er Clare den Schuh hin. An der Spitze leuchtete ein dunkler Fleck.

    Â»Blut«, erklärte Mister Henry. »Die Erotik des Balletts hat etwas von der chinesischen Fußfesselung. Die Phantasie einer aus Qualen geborenen Grazie, von Schönheit aus Schmerz.« Er strich mit dem Zeigefinger über den dunklen Fleck. »Nach dem ersten Persephone-Vortanzen kam Calvaleen nicht mehr. Sie hätte