Tödliche Ohnmacht: Kriminalroman (German Edition)
gute Seele«, lobte Mrs Clair ihnanerkennend. »Wir sind dir ganz ungemein dankbar, nicht wahr, Marjorie?«
»Ja«, stimmte Marjorie zu. »Ganz ungemein.«
Ted aalte sich wohlig in ihrer bewundernden Dankbarkeit. Das Gefühl der Bedrohung und von allen Freunden verlassen zu sein, war vollkommen verschwunden. Er hatte sich nicht im Mindesten darauf gefreut, drei langweilige Wochen mit Madge und den Kindern an der Küste zu verbringen, wo das nächste Pub zwei Meilen entfernt war. Dort unten wehte stets ein kühler Wind, und die Frauen waren alle Mütter von Horden schreiender Kinder und keine im Badeanzug auch nur einen Blick wert. Er würde viel lieber hier zu Hause bleiben, sogar dann, wenn das bedeutete, dass er sein Bett selbst machen und sein Frühstück selbst zubereiten musste – der Rest der Hausarbeit konnte natürlich liegen bleiben. Was für ein Glück, dass er daran gedacht hatte, den Urlaub zu streichen. Ted gelangte, in diesem ausgedehnten Augenblick, fast zu der Überzeugung, dass diese ganze neue Situation ein Ergebnis seiner eigenen Planung war, und war infolgedessen sehr zufrieden mit sich selbst. Aber er tat sein Bestes, um sich nichts anmerken zu lassen, denn die Frauen würden es nicht verstehen, wenn sie annehmen müssten, dass er gar kein besonderes Opfer brachte. Er war so zufrieden mit sich selbst, so wenig gereizt und nervös wie schon seit dem Tag nach Dots Tod nicht mehr.
»Samstag in einer Woche fahren wir«, sagte Mrs Clair. »Es sind nur noch zehn Tage bis dahin. Du hast nicht mehr viel Zeit, dich darum zu kümmern, dass Teds Sachen alle in Ordnung gebracht sind, Marjorie. Wir müssen die Situation für ihn so bequem gestalten, wie uns irgend möglich ist. Ich komme morgen vorbei und werde mal sehen, ob ich dir helfen kann.«
Jetzt hatte das alte Hochgefühl Ted wieder erfasst; und als seine Schwiegermutter aufstand, um zu gehen, machte er keinerlei Anstalten, sie aufzuhalten. Im Gegenteil, er gab vielmehr mit seiner ganzen Haltung zu erkennen, dass er nicht das Geringste dagegen hatte, sie an diesem Abend loszuwerden. Als Marjorie von der Haustür ins Wohnzimmer zurückkam, tätschelte er ihr das Gesäß mit jener guten alten Geste, die sie zu hassen gelernt hatte.
»Zeit, ins Bett zu gehen, altes Mädchen«, sagte er.
Sie sah ihn an, und ließ dann den Blick durch das Zimmer schweifen, über die beiden vertrauten Sessel und das Sofa, die nach neun Jahren die ersten Abnutzungserscheinungen zu zeigen begannen, die beiden Bilder mit den Waldszenen, die ihnen von der Firma geschenkt worden waren, bei der sie ihre Möbel gekauft hatten, das kleine Bücherregal mit den sieben Büchern darin, den kleinen Tisch mit dem Farn, den geblümten Kaminvorleger, den Radioapparat auf dem Tischchen an der Wand, die Gardinen vor der Verandatür. Dies war das Heim, auf das sie einst so ungeheuer stolz gewesen war und das ihr so ausnehmend gut gefallen hatte. Die Stimmung froher Erwartung glitt von ihr ab wie ein aufgeknöpfter Mantel. Das Wohnzimmer war schäbig, genau wie ihr Leben – eintönig, hässlich, unerträglich.
»Was ist denn los, Süße?«, fragte da Ted. Sogar er, und sogar in seiner gegenwärtigen Stimmung, konnte erkennen, dass etwas nicht stimmte.
Diese Frage öffnete Marjorie die Augen für den bodenlosen Abgrund zu ihren Füßen. Zum ersten Mal seit jener Nacht vor mittlerweile fast drei Wochen, in der Dot starb, fühlte Ted sich wieder so – und schaudernd erkannte Marjorie, dass die Länge dieses Intervalls nur ein weiterer Beweis für seine innere Unruhe und seine Schuld war –, ein weitererBeweis, der kein Gewicht haben würde vor einem Gericht. Schwach wie sie war, hatte sie keinen einzigen Gedanken an die Frage verschwendet, was sie tun sollte, wenn diese Situation wieder aufkäme. Die andere Frage, ob sie Ted nicht ohnehin endgültig verlassen sollte, konnte sie umgehen, zur Seite legen, aufschieben, mit dem beruhigenden Gedanken, dass sie sich später damit befassen würde. Wenn sie Zeit hatte zum Nachdenken. Doch dies – dies war dringlich, unabwendbar, furchterregend.
»Komm schon, Süße, was träumst du vor dich hin?«, drängte Ted. »Gib mir ’nen Kuss, altes Mädchen.«
Eine Frau von kälterem oder zynischerem Wesen hätte sich vielleicht gesagt, wenn sie schon so schwach gewesen war, die andere Entscheidung aufzuschieben, dann müsse sie sich dieser Sache nun gezwungenermaßen ergeben; sich dem Leben mit Ted zu unterwerfen bedeute eben, sich allem anderen
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