Tödliche Recherche
Konrads Notizblock geben“, bat er die Witwe. Er war sich einfach nicht schlüssig.
Beim Lesen fiel es ihm wie Schuppen von den Augen: „Und nicht ganz unschuldig an diesem Machtwechsel ist die lahme Schwester’.“
Natürlich: die lähme Schwester, damit war eindeutig das Dürener Tageblatt gemeint!
So wurde die traditionsreiche, ursprünglich bürgerlich ausgerichtete Lokalzeitung despektierlich von den beiden Konkurrenzblättern des Zeitungsverlags Aachen und den vermeintlich fortschrittlichen Parteien genannt. Es hatte sogar Zeiten in den fünfziger Jahren gegeben, da wurde die SPD im Tageblatt überhaupt nicht erwähnt, allerdings nahm in den fünfziger Jahren auch niemand Anstoß daran, daß beispielsweise der Redaktionsleiter einer konkurrierenden Zeitung auch gleichzeitig Fraktionsvorsitzender der CDU im Dürener Kreistag gewesen war.
Mehrere Gedanken schwirrten Bahn durch den Kopf. Was hatte Schramm bloß damit gemeint, als er das Tageblatt mitverantwortlich machte für Walters Sieg? Auch das eingekreiste Zitat auf Schramms Schreibunterlage hatte jetzt auf einmal seine Berechtigung. Walter hatte Schramm indirekt bestätigt. Schramm hatte etwas gewußt, das bislang unbekannt war. Aber was war es bloß? „Was ist, Helmut?“, hörte er Thea neugierig fragen. „Worüber denkst du nach?“
Doch er schüttelte nur ablehnend den Kopf. Ich verrenne mich hier in etwas, sehe schon Gespenster, hielt er sich vor. „Ach, nichts von Bedeutung“, meinte er.
„Sag’ mal“, fuhr Thea fort und wechselte das Thema, „sonst hast du nichts mehr von Konrad in der Redaktion?“
Bahn wollte verneinen. Aber da fiel es ihm wieder ein. „Doch!“ Er mußte unweigerlich lächeln. „Ich habe in meinem Schreibtisch noch einen von Konrads berühmt-berüchtigten Hieroglyphenzetteln. Du weißt, die Zettel, auf denen er nur Buchstaben und Zahlen gekritzelt hat. Ich bringe ihn dir morgen auf jeden Fall vorbei“, versicherte er.
Der Journalist wollte wieder gehen, doch Thea hielt ihn fest. „Bleib’ doch“, bat sie und Bahn setzte sich wieder. Thea wollte erzählen über Konrad, über ihre Ehe, über sich. Und Bahn hörte zu, weil er merkte, daß Thea einen Zuhörer brauchte in ihrer traurigen Einsamkeit.
Es war spät am Abend, als Schramms Witwe ihn schließlich gehen ließ. Sie hatte erzählt und geweint, gelacht und getrauert, und sie war froh gewesen, daß ihr jemand zugehört hatte. Bahn hatte ihr gerne zugehört und die Sorgen über ihre Zukunft mit ihr geteilt Thea stand mit leeren Händen da.
Schramm hatte weder in die Rentenversicherung einbezahlt, noch eine Lebensversicherung abgeschlossen. „Wir hatten doch nichts. Die Anstellung war unsere große Hoffnung“, schilderte Thea die finanzielle Situation. Als festangestellter Mitarbeiter eines Zeitungsverlages hätte Konrad und damit auch sie wenigstens eine Absicherung über die Presseversorgung gehabt. Aber er war halt nur freier Mitarbeiter ohne Ansprüche. Die junge Frau stand vor einer mehr als ungewissen Zukunft.
„Kannst du übrigens den Film brauchen, der in Konrads Kamera steckt?“, fragte Thea, als Bahn sie zum Abschied in die Arme nahm. „Er ist doch noch unbenutzt und ich kann überhaupt nicht fotografieren mit der komplizierten Kamera.“
Bahn löste sich aus der von ihm als angenehm empfundenen Umarmung. Vorsichtig spulte er den Film in die Patronenhülse zurück. Es lugte nur noch ein kleiner Zipfel heraus, als er die Rückwand der Kamera öffnete und den Schwarzweißfilm entnahm.
Bahn steckte ihn in eine seiner vielen Taschen der Lederjacke zu anderen Filmen, die er für alle Fälle immer bei sich trug.
Mittwoch, 13. November
Die Stimmung in der DTB-Redaktion war über Nacht nicht besser geworden. Taschen und Bahn schwiegen sich weiterhin an. Die übrigen Kollegen zogen es vor, geflissentlich einen großen Bogen um die beiden zu machen und still ihrer Arbeit nachzugehen. Seine Anweisungen an die Redakteure gab die Eminenz nur indirekt per Haussprechanlage über Fräulein Dagmar.
Waldmann meldete sich kurz vor mittag. Zu Fräulein Dagmars Überraschung wollte er nicht den Redaktionsleiter sprechen, sondern Bahn. Der Chef vom Dienst fragte nach, ob Bahn seine Kündigung wirklich wahrmachen wollte.
Bahn hielt sich bedeckt. Er habe noch keine Zeit für ein Schreiben gefunden. Außerdem habe er noch eine Woche, um eine Kündigungsfrist einzuhalten.
Was er Waldmann nicht sagte, er brauchte diese Tage noch als Bedenkzeit. Seine
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