Tödliche Schatten (Romantik-Thriller / Unheimlich) (German Edition)
Cynthia war versucht, in dieses Gebäude einzudringen, um von einem der oberen Stockwerke aus einen Blick in den Hof der deMurillos zu werfen, doch sie befürchtete, dabei ertappt zu werden. So ging sie zu dem großen reich verzierten Portal und drückte den altmodischen Türklopfer.
Es dauerte lange, bis sich schlurfende Schritte der Tür näherten. Gleich darauf wurde das Portalfenster geöffnet. Das ze rfurchte Gesicht eines alten grauhaarigen Mannes erschien in der Öffnung. Unfreundlich fragte er auf spanisch, was sie wollte.
"Es tut mir leid, ich spreche kein Spanisch, Senor", erwiderte sie. "Ich bin eine Bekannte Senorita Marcellas. Ich bin extra aus En gland gekommen, um sie zu besuchen."
"Senorita Marcella ist nicht da", behauptete der alte Mann, den Cynthia für Alfonso hielt. Sein Englisch klang seltsam, aber durchaus verständlich.
"Dann hätte ich gerne Dona Teresa deMurillo gesprochen." Cynthia dachte nicht daran, sich abweisen zu lassen.
"Auch Dona Teresa ist nicht hier. Sie ist heute morgen weggefahren." Der alte Mann wollte das Fenster wieder schließen, aber Cynthia war schneller. Sie streckte ganz einfach ihre Hand hi ndurch. "Ich glaube Ihnen nicht, daß weder Dona Teresa deMurillo noch Senorita Marcella hier sind", sagte sie und nannte ihren Namen. Alfonsos Blick wurde lauernd. "Möchten Sie, daß ich mit der Polizei zurückkehre?" fragte sie.
"Nein, das ist nicht nötig, Miß Moore. Ich werde sehen, ob Dona Teresa für Sie zu sprechen ist", erwiderte er und schlug so h astig das kleine Fenster zu, daß Cynthia gerade noch ihre Hand wegziehen konnte. Gleich darauf öffnete er das Portal. "Treten Sie ein", bat er in einem Ton, der an Unhöflichkeit nichts zu wünschen übrigließ.
Cynthia trat in eine kleine düstere Halle. Der Fußboden und die Wände waren mit wunderschönen Fliesen bedeckt. Neben einem großen Fenster, das auf den Hof hinausging, standen Blumen. Im hinteren Teil der Halle gab es einen Tisch und zwei Stühle in der typisch spanischen Art.
Alfonso dachte nicht daran, sie zum sitzen aufzufordern. "Warten Sie hier", wies er sie unfreundlich an und verschwand durch eine Tür.
Cynthia trat an das Fenster. Sie blickte in einen maurischen Innenhof, der durch das Haus von drei Seiten umspannt wurde. Es gab unzählige Pflanzen und einen großen Brunnen. Entlang der oberen Stockwerke des Hauses liefen Holzbalkone. Auch auf ihnen sta nden Blumen.
Die vierte Seite des Hofes wurde von dem verwahrlosten Gebäude begrenzt. Seine Fenster und Eingänge hatte man zugema uert, doch die blühenden Büsche, die den unteren Teil der Mauern bedeckten, gaben ihm etwas Anheimelndes.
Die junge Frau wandte ihren Blick nach links. Plötzlich erkannte sie, daß auch ein Teil dieses Hauses ziemlich verfallen wirkte. Wie es aussah, schienen die deMurillos ihre besten Zeiten hinter sich zu haben. Vielleicht fehlte es am Geld, oder einfach auch nur am Elan, den Verfall aufzuhalten.
Plötzlich erklangen hinter ihr Schritte. Sie drehte sich um und hätte fast erschrocken aufgeschrien, als sie die gebeugte Gestalt sah, die in der Halle stand. Die alte Frau war völlig in schwarz gekleidet, selbst ihre Haare wurden von einem schwarzen Spitzentuch bedeckt. Mit der rechten Hand umklammerte sie fest den Knauf eines Stockes. Ihr Gesicht, das noch Spuren früherer Schönheit erkennen ließ, wirkte wie eine Fratze, aus der dunkle Augen stechend herausschauten. "Dona Teresa deMurillo?" fragte Cynthia.
"Ja, ich bin Dona Teresa", erwiderte die alte Frau in einem klaren Englisch. Ihre Stimme klirrte wie Glas. "Mein Diener sagte mir, Sie hätten nach meiner Enkelin gefragt."
"Ja, ich hätte gerne Senorita Marcella gesprochen", erwiderte Cynthia und stellte sich erneut vor. "Es ist für mich sehr wichtig, Dona Teresa."
"Es tut mir leid, Miß Moore, aber meine Enkelin führt ein sehr zurückgezogenes Leben. Mein Sohn und meine Schwiegertochter sind im Februar tödlich verunglückt. Da ist es nur verständlich, daß sich Marcella für einige Zeit von der Welt zurückgezogen hat."
"Mein Bruder Cedric, der Verlobte Ihrer Enkelin, ist vor einigen Wochen nach Granada geflogen, um Senorita Marcella zu sehen. Er..."
Das Gesicht der alten Frau wurde weiß vor Zorn. "Wie können Sie behaupten, meine Enkelin sei verlobt? Ein Mädchen von Marcellas Herkunft würde sich niemals ohne die Zustimmung seiner Familie verloben. Ihren Bruder Cedric kenne ich nicht. Marcella hat ihn noch niemals erwähnt." Sie hob den Kopf.
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