Total Control (Das Labyrinth)
haben recht. Ich war ein lausiger Vater. Besonders für Meggie. Ich habe zu unchristlichen Zeiten gearbeitet, war nie da, und selbst wenn, dann schlief ich entweder oder war so in einen Fall versunken, daß ich kaum die Hälfte von dem mitgekriegt habe, was meine Kinder mir zu erzählen versuchten. Jetzt lebe ich allein in einem schäbigen Apartment und sehe kaum was von dem Geld, das ich verdiene. Mein Magen fühlt sich an, als läge ein Haufen Fleischermesser drin, und obwohl ich sicher bin, daß ich mir das nur einbilde, stecken doch wirklich ein paar Bleistücke dauerhaft in meinem Körper. Zu allem Überfluß kann ich in letzter Zeit selten einschlafen, bevor ich mir einen Sechserpack Bier reingezogen habe.«
»Himmel, Lee, bei der Arbeit wirkst du unerschütterlich wie ein Fels. Jeder hat höllischen Respekt vor dir. Wenn du eine Ermittlung beginnst, bemerkst du Dinge, die mir nie im Leben aufgefallen wären und machst dir ein Bild von dem Fall, bevor ich überhaupt mein Notizbuch hervorgekramt habe. Du hast bessere Instinkte als jeder andere.«
»Gott sei Dank, Ray. Schließlich ist mir sonst nichts geblieben. Aber stell dein Licht nicht so unter den Scheffel. Ich habe dir zwanzig Jahre Erfahrung voraus. Weißt du, was Instinkt ist? Man erlebt immer und immer wieder dasselbe, bis man allmählich ein Gefühl für die Dinge entwickelt; dadurch ist man den anderen eine Nasenlänge voraus. Du bist schon wesentlich weiter, als ich mit kaum sechs Jahren Berufserfahrung war.«
»Danke, Lee.«
»Bitte versteh mich nicht falsch. Ich habe kein Selbstmitleid, und ganz bestimmt will ich kein Mitleid von anderen. Ich hatte oft die Wahl und habe immer die meine getroffen. Wenn mein Leben verkorkst ist, dann deshalb, weil ich es verkorkst habe, sonst niemand.«
Sawyer erhob sich, ging hinüber an den Tresen und wechselte ein paar Worte mit einer dürren, runzligen Kellnerin. Einen Augenblick später kehrte er mit den Händen vor dem Gesicht zurück; eine dünne Rauchfahne stieg zwischen den Fingern auf.
Er setzte sich wieder hin und hielt die Zigarette hoch. »Um der alten Zeiten willen.« Während er gemächlich das Streichholz im Aschenbecher löschte, lehnte er sich zurück und sog ausgiebig an der Zigarette, wobei ein kaum vernehmbares Kichern von seinen Lippen drang. »Bei diesem Fall, Ray, dachte ich anfangs, ich hätte alles im Griff. Lieberman ist das Ziel. Wir finden heraus, wie der Flieger sabotiert wurde. Wir finden eine Reihe von Motiven, aber auch nicht zu viele, um sie weiterzuverfolgen, bis wir den Mistkerl, der dafür verantwortlich ist, festnageln können. Scheiße, man liefert uns sogar den eigentlichen Bombenleger auf dem goldenen Tablett, obwohl er nicht mehr atmet. Alles sieht recht gut aus. Und dann verlieren wir plötzlich den Boden unter den Füßen. Wir erfahren, daß Jason Archer diesen unglaublichen Coup gelandet hat und dann in Seattle auftaucht, wo er Geheiminformationen verkauft, anstatt in einem Loch im Boden von Virginia zu liegen. Gehört das zu seinem Plan? Sieht ganz so aus. Nur stellt sich heraus, daß der Bombenleger ein Kerl ist, der dem Computersystem der Staatspolizei von Virginia irgendwie entging. Ich lass’ mich nach New Orleans locken, und währenddessen passiert etwas im Haus der Archers, von dem ich nach wie vor keinen blassen Schimmer habe. Dann, wenn man es am wenigsten erwartet, kommt Lieberman wieder ins Bild, hauptsächlich wegen Steven Pages angeblichem Selbstmord, der vor fünf Jahren geschah und überhaupt nicht zu dem Puzzle zu passen scheint; abgesehen davon, daß seinem großen Bruder, der uns bestimmt einiges hätte erzählen können, in einem Parkhaus die Kehle durchgeschnitten wird. Ich rede mit Charles Tiedman, wodurch wir erfahren, daß Lieberman vielleicht, aber nur vielleicht, erpreßt wurde. Wenn dem so ist, was zur Hölle hat das mit Jason Archer zu tun? Handelt es sich um zwei voneinander unabhängige Fälle, die nur durch einen Zufall scheinbar zusammengehören, nämlich deshalb, weil Lieberman in ein Flugzeug stieg, das Archer sabotieren ließ? Oder ist das Ganze ein Fall? Wenn ja, wo ist bloß die Verbindung? Denn wenn es eine gibt, dann ist sie meiner Wenigkeit bislang gänzlich entgangen.«
Unverkennbar frustriert schüttelte Sawyer den Kopf und sog heftig an der Zigarette. Er blies Rauch an die verrußte Decke, stützte sich mit den Ellbogen auf den Tisch und schaute zu Jackson. »Und jetzt werden zwei weitere Typen ins Jenseits befördert, die
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