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Tote Dichter lügen nicht: Roman (German Edition)

Tote Dichter lügen nicht: Roman (German Edition)

Titel: Tote Dichter lügen nicht: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georges Flipo
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einmal die Berichte der Spurensicherung in die Hand. Alles war gleich ernüchternd. Die einzigen Spuren auf dem Sonett stammten von den Académiciens. Keine erkennbaren Spuren auf dem Körper von Élisabeth Blum. Die Umschläge, die Cucheron erhalten hatte, trugen keine Abdrücke außer seinen eigenen. Der Mörder war tatsächlich von grausamer Diskretion.
    Die Ermittlungen mussten neu angestoßen werden, aber in welche Richtung? Viviane war mit ihrem Latein am Ende. Es musste dort oben einen speziellen Heiligen für solche Fälle geben, ein schrulliger Heiliger, ein Spaßvogel, ein Amateur in Sachen schwarzer Humor: Um elf Uhr morgens rief Louis Saint-Croÿ aufgebracht an. » Commissaire, kommen Sie schnell, man hat heute Morgen versucht, Joa umzubringen. Man hat sie vor die Metro gestoßen. Sie lebt, ist aber in einem schlechten Zustand. Ich bin in ihrem Zimmer, im Pitié-Salpêtrière.«
    Viviane stürzte zu ihrem Clio und verabredete sich mit Monot im Krankenhaus. Sie fühlte sich jämmerlich. Ihr Assistent hatte recht gehabt, Joa war in Gefahr gewesen. Auch Saint-Croÿ hatte recht behalten. Würden die Protagonisten alle nacheinander sterben, bis sie den Fall endlich gelöst hatte? Wer würde der Nächste sein?
    Monot erwartete sie vor der Zimmertür. Sie traten leise ein. Joa lag auf dem Bett. Louis Saint-Croÿ hielt ihre Hand.
    Mit dünner Stimme erzählte Joa, was passiert war. Sie war früh mit der Metro zur Chapelle de la Médaille Miraculeuse gefahren, in der Rue du Bac, wohin viele Farbige zum Beten gingen. Sie hatte eine nette Art » Farbige« zu sagen, und Viviane fiel auf, dass dieser Ausdruck am Aussterben war, ersetzt von dem prüden » sichtbare Minderheiten«. Joa erzählte, dass ihr nach Beten war, weil sie Angst hatte, wegen all dieser Geschichten. Auf dem Rückweg, kurz nach neun Uhr, wollte sie in den ersten Wagen einsteigen, an der Station Sèvres-Babylone, als man sie vor die Metro stieß, die gerade einfuhr. Sie hatte Glück gehabt, sie war zur richtigen Seite gerollt, nach vorne, ohne das Strom führende Gleis zu berühren. Es war ein Wunder, der Fahrer war zwanzig Zentimeter vor ihr zum Stehen gekommen. Sie kam mit einem schlimmen Knöchelbruch davon. Während sie erzählte, verzog sie das Gesicht vor Schmerzen, aber ohne Dramatik.
    » Haben Sie den Täter gesehen?«
    » Nein, es waren viele Leute unterwegs um diese Zeit. Und wissen Sie, wenn man geschubst wird, dann von hinten.«
    Ein Pfleger rollte sie auf einem Krankenbett hinaus. Man musste noch mehr Röntgenaufnahmen machen. Louis Saint-Croÿ begleitete die Kommissarin und ihren Assistenten zur Tür, feindselig, als wolle er verdeutlichen, dass die Verantwortung für dieses Drama seiner Ansicht nach bei den Polizisten lag.
    Im Gang sprudelte es aus Viviane heraus: » Das hätte eine Tote mehr sein müssen, für uns ist es eine Verdächtige weniger. Sie wird mehrere Monate Reha brauchen, die Arme. Aber wenn der Attentäter sie eine Sekunde später geschubst hätte, hätte das für sie die Ewigkeit bedeutet. Wissen Sie, was von ihr geblieben wäre? Haben Sie schon mal einen Körper eingesammelt, der von der Metro überfahren wurde?«
    Monot war mit den Gedanken woanders. Wie von weither rezitierte er: » Oh Höllengrund, oh spaltbreit geöffneter Tempel! …Sie kam aus der Kapelle. Noch so ein Zufall.«
    Viviane wusste nicht, was sie antworten sollte. Sie war genervt von diesen Versen, in die man alles hineininterpretieren konnte. Sie überlegte, ob es nicht eine Strophe gab, die sie auf die Spur des Mörders führte. Schließlich hieß es auch Wenn meine Seele das Göttliche ausspuckt … Aber wo waren in der Paella die Schönheit, das Göttliche?
    Heute Abend aß sie mit ihrem Lieutenant. Sie war deswegen guter Stimmung, fast zu guter– schließlich sollte es nur ein Mitarbeitergespräch werden.
    Sie hatte Capitaine De Bussche nach einem guten asiatischen Restaurant gefragt. Er hatte das Mondol Kiri sehr gelobt, ein kambodschanisches Restaurant am Anfang der Avenue de Choisy, kurz vor der Rue Simenon. Die Kommissarin hatte sehr lachen müssen: Es war gleich bei ihr um die Ecke, aber sie hatte nie einen Fuß hineingesetzt.
    Nachdem sie das Kommissariat verlassen hatte, fuhr sie bei sich vorbei, Zeit genug, sich umwerfend schön zu machen, dann ging sie zu Fuß los, um Monot zu treffen. Es war ein lauer Abend, fast frühlingshaft: Um das zu feiern, hatte sie sich für sehr riskante Pfennigabsätze entschieden und einen weißen

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