Tote Finnen tanzen keinen Tango: Kriminalroman (German Edition)
würde jedes von Kuhala ausgesprochene Wort einzeln auf seiner nackten, haarlosen Haut brennen. Der Mann wechselte auf der Schwelle zu seiner Wohnung die Identität, wozu er das volle Recht hatte, aber bei Kuhala, der gerade erst aus dem Krankenhaus entlassen worden war, waren die Empathievorräte nach den Anstrengungen des Tages erschöpft. Am liebsten hätte er den Kanuunternehmer kräftig durchgeschüttelt.
Erst als er im Schlund der Hofeinfahrt auf seine Chance wartete, sich mit seinem Wagen auf die Straße zu schieben, fragte sich Kuhala, ob Karhunen eventuell wegen des Unwetters so willenlos geworden war. Womöglich hatte er Angst vor Gewitter, traute sich aber nicht, es zu sagen.
Die harte Hand des Sturms hatte das Firmenschild des Flohmarkts im Untergeschoss eines mehrstöckigen Hauses und einer Linde einen Ast abgerissen, die Beete im Park sahen aus wie nach der Behandlung durch einen tollwütigen Friseur. Einige Neugierige hatten sich um die Spuren der Verwüstung versammelt, falls man es so nennen konnte. Kuhala bog in den Hof seiner Detektei ein und erinnerte sich an einen Nachrichtenbeitrag, in dem es geheißen hatte, hunderttausend Bangladescher hätten bei einem Hochwasser ihr Zuhause verloren. Oder waren es eine halbe Million? Wer merkte sich so etwas, wer interessierte sich dafür?
Das Regenwasser war beiderseits der Betontreppe niedergerauscht, aber der Abfluss schien alles wie durch ein Wunder geschluckt zu haben. Die üppigsten Zweige des wilden Weins hingen melancholisch herab und versperrten den Weg. Kuhala bog sie zur Seite und hegte bereits die Hoffnung, Ende des Sommers die erste Lese einfahren zu können, falls es bald wieder heiß würde und anschließend ordentlich regnete.
Er stellte die Gitarre in die Ecke, dann bereitete er dem Hund eine mit Trockenfutter angereicherte Wurstportion zu, auf die sich Jeri dankbar stürzte. Schon hörte man gieriges Schmatzen.
»Wir haben heute einen langen Tag. Zwischendurch darfst du auch Gassi gehen, keine Sorge.«
Der Hund schlug kurz mit der Schwanzspitze aus, um zu signalisieren, dass die Botschaft angekommen war.
Kuhala ging unter die Dusche und zog sich ein anderes Hemd an. In dem am Rand schon trüben Spiegel prüfte er sein strapaziertes Gesicht, als wollte er dem Rekonvaleszenten ein warnendes Wort sagen. Denn seit seiner Entlassung aus der Klinik war er den ganzen Tag wie ein Verrückter durch die Gegend gedüst. Im Blick war tatsächlich ein Hauch Schwäche zu erkennen, aber Kuhala beschloss, sich keine Vorwürfe zu machen, sondern im Gegenteil froh zu sein, sich beim Flug in Savipelto nicht das Gesicht aufgepflügt zu haben.
Er hatte sein Gesicht in vielerlei Spiegeln seit so vielen Jahren – seit fast einem halben Jahrhundert – betrachtet, dass er es längst aufgegeben hatte, dessen Schönheitswert zu beurteilen, aber auch wenn das Erschlaffungstempo des Gesichtes sich beschleunigte, verbarg sich darin etwas Ehrliches.
Er schmunzelte über seine selbstgefällige Beobachtung und verwarf den Gedanken ans Rasierwasser, denn die Aufträge von Eero Jokela wie von Aila Antikainen lagen beide noch immer im Argen. Und dann der Bombenleger … Es juckte Kuhala gewaltig, nachzufragen, was im Klubraum des MC Muddyfield so alles gebastelt wurde.
Das musste allerdings warten, denn die Regeneration würde noch ein paar Tage in Anspruch nehmen.
Er hatte gerade das Pulver der mexikanischen Chilisuppe in kochendes Wasser gerührt, da rief Annukka an.
»Oh, Annukka, Liebste!«, hauchte er, wobei er den Dampf der scharfen Suppe einatmete und einen Hustenanfall bekam.
»Was ist denn jetzt los?«
»Ich bin nur emotional bewegt. Ich vermisse dich ein bisschen mehr, als gut fürs Herz ist. Im Krankenhaus warst du plötzlich verschwunden. Wo bist du denn hin?«
Annukka klang bekümmert, sie sagte, auch bei der Polizei in Vantaa seien die Ressourcen nicht besonders, und die Sommerhitze scheine die Leute zu kriminellen Handlungen anzustacheln. »Als hätten wir nicht genug alte Fälle am Hals. Ich bin direkt von einem Tatort zu dir gefahren und habe die anderen mitten in den Ermittlungen mit offenem Mund stehen lassen. Ach, Otto, du hast unter deiner Bettdecke so klein und verletzlich ausgesehen.«
Kuhala schob die Suppentasse von sich weg und lieferte einen Bericht über seinen aktuellen Zustand. Er sei besser als seit Langem, aber für die Feineinstellung sei die Berührung einer Frau nötig. »Die Mordfälle bereiten mir allerdings
Weitere Kostenlose Bücher