Tote Hunde beißen nicht: Bröhmann ermittelt wieder (German Edition)
Feld lag, ich meinen Chef als «falsches fettes Arschloch» beleidigte, später von einer wirren halbnackten Stalkerin im Bett belästigt wurde und jetzt in einem feuchten fremden Keller die Waffe eines Kidnappers im Kreuz habe, für einen kurzen Moment wird dieser Tag zum schönsten der vergangenen zehn. In der Ecke dieses ehemaligen Kartoffelkellers liegt auf einer Decke, zwar etwas derangiert, aber doch lebend, mein Vater. Meine Erleichterung und die ungläubige Freude darüber, dass er nicht tot ist, überstrahlt die Tatsache, dass ich nun auch an eine Kette gehängt werde und mir nicht im Entferntesten vorstellen kann, wie man aus dieser Nummer hier wieder rauskommen soll. Keiner weiß, dass ich hier bin. Niemandem habe ich davon etwas erzählt. Keinem Kollegen, keiner Melina, niemandem.
Doch all das ist mir egal. Ich kann es noch immer nicht fassen, dass dort in der Ecke mein Vater liegt. Kurz nachdem mich Fichtenau angekettet hat, verschwindet er hektisch aus unserem Kellerraum und rennt den Gang zurück zur Treppe und diese hörbar wieder hoch.
«Henning», höre ich meinen Vater brüchig flüstern.
«Papa», antworte ich ihm ähnlich brüchig.
«Wann kommen die anderen?», flüstert er weiter, sich langsam hüstelnd aus der Liegeposition aufrichtend.
«Welche anderen?»
«Na, die Kollegen.»
«Papa, äh, ich find’s erst mal schön, dass du, na ja, dass du lebst.»
«Hmm.»
Wir sitzen drei Meter voneinander entfernt. Auch mein Vater ist festgekettet, sodass ich ihn nicht berühren kann. Doch selbst wenn dies möglich wäre, so wäre ich mir selbst in dieser Situation nicht sicher, ob er es wollen würde.
«Schon Wahnsinn, in welche Situationen uns dieser Sommer bringt, was?», sage ich. «Erst Berlin, jetzt das.»
«Hmm.»
Er schweigt, wie nur mein Vater schweigen kann.
«Wer kümmert sich um Mutter?», fragt er dann nach einer gefühlten Ewigkeit.
«Ulrike ist da. Sie tut ihr gut.»
«Ulrike, hm.»
«Ja, Ulrike …»
«Gut!»
«Ja, gut.»
Mein Vater schaut in dem spärlich beleuchteten Raum überallhin, nur nicht zu mir. Dann fragt er wieder nach den Kollegen. Im ersten Moment will ich ihm wahrheitsgemäß antworten, dass eben überhaupt keine Scheiß-Kollegen kommen, sondern dass ich stattdessen nach meinem verbalen Ausfall gegen Onkel Ludwig kurz vor einer Suspendierung stehe. Doch mein Restverstand diktiert mir:
«Die müssten gleich da sein. Warten auf den richtigen Moment, bis sie zugreifen.»
Nun sieht er mich an. Ich erschrecke vor seinem Blick. Seine Augen sind kalt, müde, verängstigt, er ist um zehn Jahre gealtert.
«Du lügst», sagt er knapp.
«Nein, ehrlich, der Markus müsste gleich mit …»
«Hör auf damit», fährt er mich an. «Ich merke, wenn du lügst. Schon immer. Ich sehe das an deinen Augen und höre es an deiner Stimme.»
Ich schweige.
«Warum machst du das?», krächzt er plötzlich deutlich lauter, sodass ich zusammenzucke. «Was willst du hier? Was nutzt es denn, wenn deine Mutter nun Mann
und
Sohn verliert? Kannst du nicht
einmal
hergehen und deinen Scheiß-Kopf einschalten?»
Wie ein Achtjähriger kauere ich mich zusammen. Dann erwidere ich viel zu zaghaft, dass es so weit nicht kommen würde.
«Doch», sagt Vater kühl, «der meint es ernst, der ist wahnsinnig. Der bringt das hier zu Ende. Er will mich und diesen Burgholtz töten. Das hat er immer und immer wieder gesagt. Und meinst du allen Ernstes, dass er dich dann laufen lässt?»
Darauf weiß ich nichts zu sagen, stattdessen beginnen meine Knie zu zittern. «Es ist dieser Fichtenau, nicht wahr?»
«Hmm.»
«Und warum hat er es dann noch nicht längst getan?»
«Er will, dass ich leide. Dass ich so lange wie möglich ein Gefangener bin.»
«Weil du für seine Inhaftierung verantwortlich warst?»
«Hmm.»
Wieder schweigen wir eine Weile.
Dann hüstelt mein Vater und räuspert sich. «Und diese Zeit wird nun verkürzt, weil mein heldenhafter Sohn meint, hergehen zu müssen, hier planlos aufzutauchen.»
Ich ignoriere diese Bemerkung, auch wenn sie weh tut.
«Und was hat er mit diesem Burgholtz zu schaffen?», frage ich, das Thema wechselnd.
«Keine Ahnung, frag ihn doch selbst», herrscht er mich an.
Wieder sieht er mich an, diesmal durchdringend.
«Henning, ich bin ein alter Mann. Ich kann hergehen und mit allem abschließen. Ich hatte genug Zeit, die letzten Tage, glaub mir, aber du … du …»
Dann bricht er ab und hustet.
Da ist er nicht der Einzige, denke ich. Auch wir,
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