Totenbraut (German Edition)
denn sein rasselnder Atem wurde etwas flacher. Er hustete, schloss die Lider und sank entkräftet zurück.
Längst fühlte ich mich auch wie im Fiebertraum.
„Warum ... hat er hier ein Kreuz?“, hörte ich mich flüstern. „Müsste er sich nicht davor fürchten?“
Simeon schüttelte den Kopf. „Nein. Das Kreuz beschützt ihn. Er liebt es ebenso wie die Jungfrau Maria. Er fastet und betet und fleht Gott an, ihn und Danilo zu erlösen. Er tut keiner Menschenseele etwas zuleide.“
Nema schniefte und streichelte die Klauenhand, und ich erkannte, dass sie Vampir so sehr liebte wie ein eigenes Kind. Ich musste wegsehen. Meine Finger brannten von der aufsteigenden Wärme der Lampe und ich stellte sie am Rand des Ikonenschreins ab. Ein bunter Lichtreflex tauchte eine Spinnwebe in rötliches und violettes Licht. Das Licht kam von einem durchbrochenen Kästchen, das mit bunten Glassteinen verziert war. Osmanischer Zierrat bei den Ikonen. Jetzt erst fielen mir die anderen Gegenstände auf dem Schrein auf: Marjas Kamm, einige schmale Fingerringe und eine Brosche. Und eine angelaufene, schon schwarze Silberkette. Ein kleiner Tulipan hing daran, bemalt mit blauem Lack. Jovan hatte mir einmal erklärt, dass diese Farbe Mohammedblau hieß. Für einen Augenblick sah ich wieder Belas Tanz vor mir, ihre Hände, die sich zu Tulipanen formten. Und verstand endlich, was sie mir hatte sagen wollen.
Als ich herumwirbelte, stieß ich beinahe die Lampe um. Simeon und Nema starrten mich an, als sei ich nicht mehr ganz bei Sinnen.
„Das hier sind Marjas Sachen!“, stieß ich hervor. „Sie liebte die Tulipane und sie kam gar nicht aus Belgrad. Sondern aus dem Türkenland!“
Nema stand ruckartig auf. Ihr Kinn zitterte und ihre knochigen, roten Hände waren zu Fäusten geballt. Ich dachte, sie würde mir an die Kehle springen, aber sie stürzte an mir vorbei. Danilo hielt sie nicht auf. Der Vorhang bauschte sich, dann schlug die Tür mit dumpfem Hall zu. Simeon wischte sich mit der Hand über die Augen, als müsse er die Müdigkeit vieler Jahre vertreiben.
„Es ist eine lange Geschichte“, murmelte er. „Aus der viel Leid entstanden ist.“
„Dann erzähl sie mir!“, beharrte ich. „Wie lautet Marjas richtiger Name?“
„Saniye“, vernahm ich Danilo leise hinter mir.
Vampir bewegte die Lippen. „Ich büße für ihre Sünden“, flüsterte er mit dieser schwachen, röchelnden Stimme, vor der mir graute.
Saniye. Mir war schwindelig und meine Augen brannten. Halt suchend stützte ich mich auf dem Schrein auf.
„Und Nema?“, wandte ich mich wieder an Simeon. „Ich will endlich die ganze Wahrheit hören.“
Der Alte schien immer noch mit sich zu ringen, aber dann stand er plötzlich auf und kam auf mich zu. Ich konnte nicht weiter zurückweichen und mit einem Mal war er mir so nah, dass ich seinen Atem spürte und der Geruch von Tabak mir in die Nase stieg.
„Gizem war ihr Name“, sagte er heiser. „Sie war Saniyes Dienerin.“
„Marja ... hatte eine Dienerin?“
Simeon nickte und senkte die Stimme, als wollte er nicht, dass Vampir alles hörte. „Sie war die Tochter eines reichen Osmanen. Er war Händler. Es war sein Palast in Istanbul, in dem wir zu Gast waren. Jovan hätte Saniye nie allein begegnen dürfen. Du musst wissen, dass bei den Türken die Frauen für sich bleiben und nur die Männer ihrer Familie sie ansprechen. Doch Jovan und Saniye führte der Zufall zusammen. Sie sprachen miteinander. Nun ... sie waren jung und sie verliebten sich. Jede gestohlene Stunde war gefährlich, es hätte sie beide das Leben kosten können, aber manchmal ist es gerade die Gefahr, die einen Blick umso wertvoller macht. Immer wieder gelang es ihnen, sich zu treffen. Nema half ihrer Herrin. Aber ein Palast hat viel zu viele Augen. Und das schärfste Auge war die rechte Hand des Hausherrn.“
„Der ... Türke, den Jovan erstochen hat?“
Simeon nickte gedankenverloren. „Der Osmane ließ ihm freie Hand. Und der Türke gebrauchte seine Macht! Jovan versuchte sich mit ihm anzufreunden, um sein Misstrauen zu zerstreuen, aber dieser Mann war ein Dämon. Jeder seiner Diener hatte Wunden von seinen Züchtigungen. Einmal trat ein Sänger beim Abendessen auf. Als dieser einen Ton nicht traf, befahl der Türke, dass man den Mann festhalten solle. Vor unseren Augen stach er ihm mit seinem Dolch in den Hals und durchtrennte ihm die Stimmbänder. Er war ein Meister darin, Menschen zum Sprechen zu bringen – oder, wenn ihm das
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