Totenbuch
hätte sie Gerüchte von
den Mitarbeitern aufschnappen können.«
»Und dann? Sie hat es Kay erzählt, und die hat es
wiederum mir verraten?«
»Kay?« Dr. Maroni nimmt eine Gabel von seinem
Risotto. »Seid ihr euch also schon nähergekommen?«
»Ich hoffe. Aber mit ihm werde ich
nicht so richtig warm. Ich glaube, er mag mich nicht.«
»Die meisten Männer - mal abgesehen von
Homosexuellen - können dich nicht leiden, Otto. Aber du verstehst sicher,
worauf ich hinauswill. Rein hypothetisch natürlich. Falls die Information von
einer außenstehenden Person kommt - zum Beispiel auf dem Weg von Lucy über Dr.
Scarpetta an dich -, bestehen keine ethischen oder juristischen Bedenken.« Dr.
Maroni verspeist genüsslich sein Risotto. »Dann kannst du die Spur verfolgen.«
»Und der VIP weiß,
dass Kay in diesem Fall mit mir zusammenarbeitet. Schließlich war sie vor
kurzem hier in Rom, was auch in den Nachrichten kam. Also wird der VIP glauben, dass Kay indirekt die Quelle ist. Keine schlechte
Idee. Ausgezeichnet. Geradezu perfekt.«
»Das risotto
ai funghi ist köstlich. Was ist mit der
Minestrone? Die habe ich letztens hier gegessen«, bemerkt Dr. Maroni.
»Wunderbar. Kannst du mir, ohne gegen das
Arztgeheimnis zu verstoßen, erklären, warum dieser VIP als Patient im McLean Hospital ist?«
»Meinst du meine Gründe oder ihre? Ihr geht es um
ihre persönliche Sicherheit. Ich hingegen möchte, dass sie mich in meiner
Rolle als Arzt konsultiert. Sie leidet an einer bipolaren Störung der Achsen
eins und zwei. Schnell wechselnde Schübe, die sie allerdings nicht wahrhaben
will. Sie verweigert auch stabilisierende Medikamente. Welche ihrer
Persönlichkeitsstörungen soll ich zuerst erörtern? Sie hat nämlich eine ganze
Menge. Leider muss ich hinzufügen, dass sich Menschen mit einer
Persönlichkeitsstörung nur selten ändern.«
»Also gibt es einen Auslöser für den Zusammenbruch. Handelt
es sich um den ersten Aufenthalt des VIP in einer
psychiatrischen Klinik? Ich habe mich kundig gemacht. Sie lehnt Medikamente
grundsätzlich ab und vertritt die Ansicht, alle Probleme dieser Welt wären
lösbar, wenn man sich nur an ihre Ratschläge hält und ihre sogenannten
Werkzeuge einsetzt.«
»Soweit bekannt ist, hat der VIP keine einschlägige Krankengeschichte. Jetzt hast du
übrigens die eigentliche Frage gestellt, nämlich nicht, wo sie ist, sondern die
nach dem Grund. Ihren Aufenthaltsort kann ich dir nicht verraten - dafür aber
den des VIP.«
»Hat dein VIP ein
traumatisches Erlebnis hinter sich?«
»Der VIP hat eine
E-Mail von einem Verrückten erhalten. Zufällig handelt es sich um denselben
Verrückten, von dem Dr. Seif mir im vergangenen Herbst berichtet hat.«
»Ich muss mit ihr reden.«
»Mit wem?«
»Ja, schon gut. Können wir über Dr. Seif sprechen?“
»Gut, dann wechseln wir das Thema: vom VIP zu Dr. Seif.“
»Erzähl mir mehr über den Verrückten.«
»Wie ich schon sagte, ist es jemand, den ich
mehrmals in meiner hiesigen Praxis empfangen habe.«
»Ich werde dich nicht nach dem Namen dieses
Patienten fragen.«
»Gut, denn ich kenne ihn auch nicht. Er hat bar
bezahlt. Und mich belogen.«
»Also hast du keine Ahnung, wie er wirklich heißt?«
»Anders als du habe ich keine Möglichkeit,
Erkundigungen über die Vergangenheit eines Patienten einzuholen oder einen
Identitätsnachweis von ihm zu fordern«, erwidert Dr. Maroni.
»Und wie lautete sein falscher Name?«
»Das darf ich nicht sagen.«
»Warum hat Dr. Seif sich wegen dieses Mannes an dich
gewandt? Und wann?«
»Anfang Oktober. Wie bereits erwähnt, erklärte sie
mir, er schicke ihr E-Mails, weshalb sie es für ratsam hielte, ihn an einen
Kollegen zu überweisen.«
»Dann trägt sie zumindest einen Teil der
Verantwortung, denn schließlich hat sie eingeräumt, von der Situation
überfordert gewesen zu sein«, stellt Capitano Poma fest.
»Daran merkt man, dass du sie nicht kennst. Dr. Seif
würde niemals auch nur auf den Gedanken kommen, dass sie einer Aufgabe nicht
gewachsen sein könnte. Der Patient war ihr einfach nur lästig, und es
streichelte ihr manisches Ego, ihn an einen Psychiater zu überweisen, der
Nobelpreisträger ist und dem Lehrkörper der medizinischen Fakultät von Harvard
angehört. Außerdem belästigt sie mich gern, was sie schon öfter unter Beweis
gestellt hat. Jedenfalls hatte sie ihre Gründe dafür - und wenn es nur die
Gewissheit war, dass ich an diesem Fall scheitern würde. Der Mann ist nicht
heilbar.«
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