Totenfluss: Thriller (German Edition)
Patrick in den Willamette gespült worden waren, wären sie inzwischen eine halbe Meile entfernt.
»Wie schnell fährt dieses Ding?«, fragte er.
58
Susan hörte auf zu schwimmen und ließ sich vom Fluss mitnehmen. Sie bemühte sich, tief einzuatmen und auf der Oberfläche treiben zu lassen, aber das Wasser war zu rau, zog sie nach unten und überspülte ihr Gesicht, und sie wurde noch erschöpfter und orientierungsloser und musste spucken. Deshalb blieb sie in der Senkrechten und trat mit den Beinen, von denen die Stiefel längst verschwunden waren, schaufelte mit den Armen Wasser, und ihr Kopf tanzte wie eine Boje auf der Oberfläche. Es war so viel Müll und Treibgut im Fluss, dass sie wachsam bleiben musste, um nicht von einem Baumstamm oder einem losen Verkehrszeichen eins auf die Rübe zu bekommen. Sie behielt die Arme nahe an der Oberfläche und machte weit ausholende Bewegungen, um alles beiseitezuräumen, was möglicherweise ihren Weg kreuzte. Bisher hatte sie zersplittertes Holz und Äste zur Seite geschlagen, und etwas, das sich wie der Rückspiegel eines Autos angefühlt hatte. In ihrem Haar hatten sich Zweige verfangen. Ihre Hände fühlten sich an, als bluteten sie. Schauder liefen ihr über den Körper. Eine eisige Kälte hatte sich tief in ihren Knochen eingenistet.
Sie hob das Gesicht zum mitternächtlichen Himmel, und der Regen traf auf ihre Wimpern.
Der Himmel war so schwarz wie das Wasser, bis auf einen hellen Stern.
Kein Stern. Ein Planet.
Venus.
Nein, Jupiter.
Sie konnte die beiden nie auseinanderhalten.
Das Licht war zu groß für einen Planeten. Es war zu nahe. Susan spürte, wie das Wasser um sie herum niedergedrückt wurde, bevor der Wind der Rotorblätter ihr Gesicht traf.
»Hallo!«, rief sie und schluckte Wasser. Sie würgte und hob die Hand, um zu winken, aber davon sank sie nur bis zum Haaransatz ein. Sie trat mit den Beinen, so fest sie konnte, und es gelang ihr, einen Arm zu heben und nach oben zu stoßen. »Hier unten!«, schrie sie. »Ich bin hier!«
Aber der Hubschrauber strich über sie hinweg, ohne innezuhalten, und sie war wieder allein und ohne Licht.
Sie konnten sie nicht sehen. Es war zu dunkel. Es war zu viel Zeug im Wasser.
Sie würde sterben.
Sie fing an, schwer zu atmen, ein scharfes, kurzatmiges Hecheln, und in ihren Augen brannten heiße Tränen. Sie fühlte sich benommen. Sie biss sich auf die Zunge und schmeckte Blut.
Sie würden ihre Leiche vielleicht nie finden. Sie würde untergehen. Unter all dem Mist im Wasser stecken bleiben und davongetragen werden und irgendwo unter einer Anlegestelle verrotten. Wenn sie Glück hatte, erzeugten die Bakterien in ihrem Bauch so viel Gas, dass sich ihr aufgeblähter Körper freimachte und an die Oberfläche trieb.
Susan wollte nicht sterben.
Sie bekam Krämpfe in den Beinen, ihre Lungen schmerzten. Sie musste sich beruhigen, langsamer atmen.
Das erste Stadium des Ertrinkens war Angst.
Sie dachte an Patrick, der allein da draußen war und schreckliche Angst haben musste, wenn er noch lebte.
Sprich mit dir selbst , dachte Susan. Fass das Ganze in Sprache. Dazu waren Journalisten schließlich da, oder?
Sie machten sich Notizen.
Sie recherchierten.
Und sie hofften, dass all dieses sinnlose Wissen, das sie gespeichert hatten, eines Tages zu etwas nutze sein würde.
Das Wasser war kalt, und Susan strampelte darin umher und versuchte, das Kinn oben zu behalten. Es war dunkel, und sie sah nichts. Sie wusste nicht, wohin die Strömung sie mitnahm. Das Wasser schmeckte nach Schlamm und Metall. Ihr ganzes Leben lang hatte man sie ermahnt, kein Wasser aus dem Willamette zu trinken, es sei mit Quecksilber, Fäkalien und radioaktiven Abwässern aus Hanford verseucht. Jetzt hatte sie wahrscheinlich ein ganzes Fass davon geschluckt. Wenn sie nicht ertrank, würde sie an Krebs sterben.
Die meisten Leute, die ertranken, riefen nicht um Hilfe. Sie waren zu sehr damit beschäftigt, Luft zu holen.
Es ist nicht wie im Fernsehen.
Es ist lautlos.
Man geht einfach unter und ist verschwunden.
Stöcke und andere Trümmer schlugen an ihre Beine und brachten ihre Gedanken zurück wie eine Ohrfeige. Der Fluss ächzte und brüllte. Es war das einzige Geräusch, das man hörte.
Ihr Körper brannte vor Erschöpfung.
Es kostete sie alles, was sie hatte, diesen letzten Atemzug zu machen. Sie hätte die Luft anhalten können. Sich noch ein paar Minuten erkaufen. Aber sie war nie der Typ Mensch gewesen, der leise ging. Also schrie
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