Totenmesse - Patterson, J: Totenmesse - Step on a Crack
Marmorboden. Was für ein schreckliches Geräusch das machte, als würde jemand Blut mit einem Gummiwischer von einer Scheibe putzen. Ein Geiselnehmer auf jeder Seite zog die Leiche wie eine Stoffpuppe an den schlaffen Armen.
Ein glänzender, schwarzer Schuh fiel von einem Fuß. Eine Kleinigkeit, aber eine schreckliche. Die offenen Augen im baumelnden Kopf schienen Eugena anzublicken, als die Leiche in den dunklen Gang neben dem Altar gezogen wurde.
Warum ich, schienen die leblosen Augen sie anzuklagen. Warum ich und nicht du?
Sie haben gerade einen meiner Freunde getötet, dachte Eugena und begann unkontrolliert zu schluchzen. Sie wusste, dies würde sie für immer verändern.
83
Als ich die Kontrollstelle passierte, blieb beinahe mein Herz stehen. Oakley und andere Polizisten der Spezialeinheit jagten über die Fifth Avenue zum Haupteingang der Kathedrale. Das konnte nur eins bedeuten, dachte ich wütend und rannte los.
Ich blickte auf meine Uhr. Was sollte das, verdammt? Jack hatte Mitternacht gesagt. Jetzt war es erst halb elf.
Ich war bereits beim Krankenwagen am Rockefeller Center, als Oakley und die anderen mit einer mit einem Anzug bekleideten Leiche eintrafen. Ich konnte das Gesicht nicht sehen, weil die Sanitäter mir den Blick versperrten. Wer war es? Wen hatten sie jetzt getötet? Und warum vor Ablauf der Frist?
Nach einer Weile hielten die Sanitäter inne. Eine von ihnen wandte sich mit Tränen in den Augen ab, ließ achtlos die Sauerstoffmaske fallen, die sie in ihrer Hand hielt. Sie setzte sich an den Straßenrand, während die Blitzlichter der Fotografen vor der Absperrung und in den Fenstern der Gebäude rund um die Kathedrale ihre Trauer auf grausame Weise störten.
Wieder schien mein Herz stehen zu bleiben, als ich den Toten schließlich erkannte - das letzte Mordopfer. Ich erinnerte mich an andere Male, als ich den gleichen Schock erlebt hatte … bei Belushi, Lennon oder River Phoenix.
Auf der Rolltrage lag, Mund und Augen weit aufgerissen, John Rooney, der Filmkomiker.
Wie ein langsam kriechender elektrischer Strom fühlte sich das Kribbeln an meiner Wirbelsäule an.
Wieder war ein Mensch abgeschlachtet worden - allein um ein Exempel zu statuieren.
Ich blickte zu den Schaulustigen und den Pressevertretern hinter der Absperrung. Beinahe hätte ich mich neben die trauernde Sanitäterin gesetzt.
Wie sollten wir mit dieser Sache weiter verfahren?
Ich erinnerte mich, wie meine Kinder Rooney verehrten. Vielleicht sahen sie sich gerade Rudolph an, die DVD mit der Live-Aufnahme, die er erst am vergangenen Weihnachtsfest gemacht hatte.
Wer würde der Nächste sein? Eugena? Charlie Conlan? Todd Snow?
Rooney hatte Millionen von Fans, darunter viele Kinder. Als Star war er Teil des öffentlichen Bewusstseins Amerikas und der ganzen Welt geworden, und diese Schweine hatten ihn und das warme Gefühl, das er in seinen Zuschauern bewirken konnte, ausgelöscht.
Ich blickte wieder zur Kathedrale, hinter der sich die Menschenmenge und die Antennen der Übertragungswagen erstreckten.
Zum ersten Mal wollte ich einpacken. Am liebsten hätte ich einfach das Telefon von meinem Gürtel genommen und wäre weggegangen. Hätte mir eine U-Bahn-Station gesucht. Hätte mich neben meine Frau gelegt und ihre Hand gehalten. Maeve schaffte es immer, mich irgendwie zu trösten.
»Mein Gott!«, rief Oakley voller Wut. »Wie sollen wir diese Bombe der Öffentlichkeit präsentieren? Zuerst die Sache mit dem Bürgermeister, und jetzt haben wir zugelassen, dass der arme John Rooney umgebracht wird?«
Da dämmerte es mir.
Das war’s.
Genau das war der Punkt an der Sache.
Plötzlich verstand ich, warum die Geiselnehmer in einem grausamen Mord nach dem anderen Prominente auslöschten.
Sie wollten, dass die Sache langsam voranging. Das war ihre Methode. Damit würden immer mehr Schaulustige hier eintreffen. Dadurch würden die Medien und in der Folge die Fernsehzuschauer zu Hause den Druck erhöhen, um die Angelegenheit zu Ende zu bringen. Aber der Druck wurde nicht auf die Geiselnehmer ausgeübt.
Sondern auf uns.
Jemand hatte es geschafft. Jemand hatte den schlimmsten Albtraum eines Polizisten wahr werden lassen. Je mehr Zeit verstrich und Leichen aus der Kathedrale geworfen wurden, desto schlimmer standen wir da. Dies machte die Entscheidung, die Kathedrale zu stürmen, beinahe unmöglich. Wenn wir einen Fehler begingen, würde die Kathedrale - wumm - einfach in die Luft fliegen. Doch die Menschen würden
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