Toter Mann
über ihm, Winter konnte sie fast sehen. Vielleicht würde es bald anfangen zu regnen. Er wollte keine Überschwemmung in seinem Zimmer haben.
»Erzähl mir, was los ist«, sagte er.
»Du redest, als würdest du ein Verhör führen«, sagte Bergenhem. Winter bemerkte den Schmerz in seinen Augen. Es waren keine Kopfschmerzen.
»Hat es irgendwas mit der Arbeit zu tun, Lars?« »Mit was denn sonst?«
»Ich weiß nicht. Der Job ist ja nicht alles.« Jetzt musste Winter lächeln.
»Ich denke darüber nach, aufzuhören«, sagte Bergenhem.
Er stieß es hastig hervor, als müsste es heraus, und zwar schnell.
So ist das, wenn man sehr lange etwas mit sich herumgetragen hat. Winter hatte es fast erwartet. Er war nicht schockiert. Leute hörten auf. Das geschah in allen Berufen. Man begann etwas Neues. Der Lebensweg war nicht abgesteckt, wenn man zwanzig wurde, so sollte es nicht sein. Aber er wollte Lars nicht verlieren.
»Das ist nicht das erste Mal, oder?« »Nein.«
»Aber du hast es mir bisher nicht erzählt.« »Nein.«
»Warum also jetzt?«
»Ich weiß es nicht, Erik. Ich weiß es wirklich nicht.«
»Du wärst der Erste, den ich verlieren würde«, sagte Winter.
»Als Chef nach Sture.«
»Das hat damit nichts zu tun, und du weißt es.« »Womit hat es dann zu tun, Lars?«
»Ich weiß es nicht, wie gesagt.«
Bergenhem schien aufstehen zu wollen, blieb jedoch sitzen und sank auf dem unbequemen Stuhl in sich zusammen. Plötzlich war die Zeit schnell vergangen. Hier und jetzt geschah etwas, vielleicht bedeutete es für den Mann, der ihm gegenübersaß, eine Entscheidung für sein Leben. Lars' Gesicht war unverändert. Winter hatte ihn zehn Jahre lang fast jeden Tag gesehen, dann bemerkt man nicht, wenn jemand altert. Lars würde für immer einer der jüngeren in der Gruppe bleiben, zu der er von Anfang an gehört hatte. Er war keinesfalls mehr der jüngste im Dezernat, für Winter aber war er das immer geblieben. Er hatte gesehen, wie sich seine Beziehung zu Lars in eine ähnliche Richtung entwickelte wie die, die ihn mit Ringmar verband. Bertil hatte sich seiner angenommen, und er versuchte, sich Lars' anzunehmen. Nicht wie ein Vater, sondern wie ein älterer Bruder. Er wusste nicht, ob Lars einen älteren Bruder hatte. Darüber hatten sie nie gesprochen. Er wusste fast nichts von seiner Familie, seinem Hintergrund. Vielleicht habe ich versagt. Wenn Lars mich verlassen will, habe ich versagt. So empfand er es. Er wurde verlassen. Nicht das Dezernat verlor einen Mitarbeiter, sondern es waren persönliche Gründe, keine professionellen.
»Ich habe irgendwie keine Lust mehr«, sagte Bergenhem. »Ist etwas Besonderes vorgefallen?«
»Nein.«
»Hast du das Gefühl schon lange?« »Kann sein.«
»Das ist keine gute Antwort, Lars.«
»Ich habe keine gute Antwort, Erik. Das ist ja das Problem.« »Manchmal gibt es eben keine«, sagte Winter. »Doch gute Antworten hin oder her, möchtest du eine Weile vom Dienst befreit werden?«
»Nein.«
»Warum nicht?«
»Darauf weiß ich auch keine gute Antwort.«
»Ein bisschen Zeit zu Hause mit der Familie verbringen.« Bergenhem schwieg.
»Wie geht es der Familie?«, fragte Winter, so vorsichtig er konnte.
»Alles in Ordnung.«
»Ada muss bald elf sein, oder?«
»Ja.«
»Ich habe gehört, dass sie in Alleby reitet.« »Ja, woher weißt du das?«
»Daran kann ich mich nicht erinnern. Aber Elsa will auch reiten lernen. Vielleicht hast du ein paar Tipps.« »Das glaube ich nicht, Erik.«
»Ich hab Angst vor Pferden«, sagte Winter. »Ich auch.«
»Ich hatte so auf deine Hilfe gehofft.« »T ut mir leid.«
»Du kommst hoffentlich mit, wenn ich das erste Mal mit Elsa dort bin, du und Ada.«
»Ich ziehe vielleicht weg aus der Stadt«, sagte Bergenhem. »Was?«
»Ich ziehe vielleicht weg.«
»Du schockierst mich, Lars. Von Göteborg wegziehen? Gibt es Menschen, die so etwas tun?«
»Mir ist nicht nach Witzen zumute«, sagte Bergenhem. »Ich mache keinen Witz. Wohin wollt ihr denn ziehen?« »Wenn ... dann ziehe nur ich weg.«
»Hast du schon mit Martina darüber gesprochen?« »Nein, noch nicht.«
Das Telefon klingelte. Winter überlegte, ob er einfach nicht abheben sollte. Bergenhem sah erleichtert aus, als es erneut schrillte. Er war gekommen, um zu reden, aber er wollte nicht länger bleiben. Winter war es nicht gelungen, das Gespräch in Gang zu halten. Er konnte dem Telefon die Schuld geben. Er hob ab.
»Ja?«
»Es scheint dieselbe Munition zu sein,
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