totgequatscht: Maggie Abendroth und der Teppich des Todes (German Edition)
Marmor oder Granit, das man hätte ausleihen können, war nicht aufzutreiben gewesen. Was für eine Überraschung.
»Was willst du denn damit? Ich denke, es geht um Bestattungen?«
»Jeder Tod beginnt mit der Geburt, Maggie. Ist doch klar. Was nicht geboren wird, kann auch nicht sterben. Also, das verstehst du doch, oder?«, erklärte Rudi.
»Äh … ja. Irgendwie«, stotterte ich und war überrumpelt von diesem messerscharfen Gedankengang. »Und was ist mit dem armen Bäumchen?«
»Das symbolisiert das Leben – also die Zeit zwischen Geburt und Tod.«
»Es sieht aber ziemlich tot aus, wenn du mich fragst. Und was machen wir damit?«
»Es kommt in die Mitte. Links steht das Taufbecken, in der Mitte der Baum, und rechts steht eine Urne auf einer Stele.«
»Das ist alles?«
»Das ist alles.«
»Kein Sarg?«
»Kein Sarg«, sagte Matti, und Rudi nickte. »Unsere Särge stehen auf der anderen Seite – da, wir haben noch eine Ausstellungsfläche«, sagte Rudi. »Wir haben das geteilt, weil alle haben ja Särge … aber ich wollte was anderes machen.«
»Ist dir bis jetzt gelungen«, sagte ich. Gegenüber standen drei wunderbare Särge, die auch von den anderen Bestattern interessiert bis neidvoll begutachtet wurden. Ein dunkler Lärchensarg mit aufwendiger Engelschnitzerei auf den Seiten, ein schwarzer, hochglanzpolierter Mafiasarg mit geteiltem Deckel für die Abschiednahme am offenen Sarg und dazwischen ein sogenannter Papstsarg, bestechend in seiner Schlichtheit und Eleganz.
»Guck mal«, erklärte Rudi, »den hab ich selbst gebaut in der Werkstatt. Da ist kein einziger Nagel drin. Alles gezinkt.«
»Das wäre mal eine Idee für Ikea. Modell ›Bullerbü‹ in unbehandeltem Nadelholz – und für die Übergewichtigen ›Skrollan‹, alles zum Mitnahmepreis und kinderleicht zusammenzustecken: Keine Schrauben, kein Verdruss«, sagte ich.
»Musst du dich immer lustig machen, Maggie? Das ist Zypressenholz, das ist megateuer … aber ich mach den auch in Kiefer, wenn einer will.«
Matti hatte inzwischen den Plastikbeutel aus dem Wagen geholt und drückte mir und Rudi eine Schere in die Hand. Wir brauchten über eine Stunde, bis wir aus buntem Papier genug Blätter ausgeschnitten hatten, um das Taufbecken halb voll zu machen.
»Das müsste reichen«, sagte Rudi, »wenn nicht, muss ich morgen eben nachschnippeln.«
»Es erschließt sich mir noch nicht«, sagte ich.
»Aber gleich«, antwortete er. »Wenn die Besucher kommen, dann können sie auf die Blätter einen Lebenswunsch schreiben, und ich hänge den mit einem Faden«, Rudi hielt mir eine Rolle Zwirn entgegen, »an den Baum. Wie Laub. Dann bekommt er nach und nach Leben. Kapiert?«
»Und dann?«
»Trägt der Wind die Wünsche und Träume der Menschen ins Universum, und dann werden sie wahr. Ist doch ganz einfach.«
Bis auf die Tatsache, dass in der Trauerhalle kein Lüftchen wehte, fand ich Rudis Idee geradezu poetisch.
»Am Ende der Ausstellung kommen die Zettel mit den Wünschen in die Urne, und dann werden sie auf dem Friedhof unter einem Baum vergraben«, sagte Matti.
»Genau. Das ist dann ein vollständiger Zyklus von Wunsch, Werden und Vergehen.« Rudi verschränkte seine Arme vor der Brust und sagte: »Da bin ich ganz allein drauf gekommen.«
Und dieser Mann soll fremdgehen?, dachte ich.
Matti hielt mir ein Blatt und einen Bleistift hin. »Wenn Sie einen Wunsch haben, Frau Margret …«
»Ich? Äh …«
»Sie müssen nicht sagen, was es ist.«
Rudi war begeistert und sagte: »Super, zum Abschluss schreiben wir drei jeder einen Wunsch auf und hängen ihn an den Baum. Das ist doch toll.«
»Ein schöner Anfang«, sagte Matti und nahm den Lärchensarg als Schreibunterlage. Als wir fertig waren, falteten wir die Blätter in der Mitte. Dann befestigte Rudi unsere Wünsche am obersten Ast des Bäumchens.
»Fertig«, sagte er.
»Danke«, sagte Matti und verabschiedete sich.
»Wo geht er denn hin?«, fragte ich Rudi.
»Die Bestatter machen noch eine Schlussbesprechung. Soll ich dich nach Hause fahren?«
»Wäre nett. Aber ich muss vorher noch zu Elli.«
»Kein Problem«, sagte Rudi und ging voraus. Ich konnte beim besten Willen keine Irritation bei der Erwähnung ihres Namens ausmachen. Kaum saßen wir im Auto, sagte ich: »Rudi, ich muss dich mal was fragen.«
»Nur zu. Frag.«
»Trinkst du Likör?«
»Äh, bäh! Nein!«
»Kennst du eine blonde Frau?«
»Ich kenn viele blonde Frauen«, sagte er und startete den Wagen.
»Ich meine
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