Tränen der Lilie - Seelen aus Eis (Bianca Balcaen: Geisterkrieger-Serie) (German Edition)
unter seinem rechten Auge zuckte.
Das passierte ihm immer, wenn er an seinen Alptraum dachte. Aus
dem Grund versuchte er es immer nach besten Kräften zu
vermeiden, was ihn dank seiner Pillen meistens auch gelang. Doch
in letzter Zeit halfen auch die ihm immer weniger und er spürte,
dass Amy vielleicht die einzige Person war, die ihm jetzt noch
helfen konnte.
Nervös griff er
nach seiner Zigarettenpackung auf dem Tisch, zündete sich eine
an und inhalierte tief den Rauch ein. Amy beobachtete ihn stumm.
»Ich wollte gar
kein Arzt werden«, sagte er unvermittelt und durchbrach damit
das Schweigen zwischen ihnen.
»Ich hatte eine
Schwester - ihr Name war Elizabeth. Sie war acht Jahre, als ich
geboren wurde…“
Amy sah ihn an und
registrierte an seiner gebeugten Haltung, dass es ihm unendlich
schwer fiel seine Gefühle in Worte zu fassen. Sie verhielt sich
ganz still und stellte keine Fragen. Manchmal war zuhören
heilsamer als reden. Sein Blick traf kurz den ihren, dann
drückte er seine Zigarette aus und sah gequält in den
Nachthimmel, bevor er mit leiser Stimme weitersprach.
»Elizabeth hatte
schon seit ihrer Geburt Leukämie, die schlimmste Form. Nichts
brachte Besserung und auch eine Strahlentherapie schlug in
keinster Weise an, im Gegenteil. Die behandelnden Ärzte sagten
meinen Eltern, dass Elizabeth ohne eine Stammzellenspende nicht
mehr lange leben wird. Weder meine Eltern, noch die Verwandten
kamen als Spender in Frage, ihre Zellen waren nicht kompatibel.
Doch dann hörten sie eines Tages von einem ähnlichen Fall in
Iowa. Dort war vierjähriger Junge auch unheilbar erkrankt. Die
Mutter war zu dem Zeitpunkt im achten Monat schwanger. Nach der
Geburt stellten die Ärzte fest, dass das Baby die gleichen
Knochenmarkanlagen hatte, wie ihr totkranker Sohn. In einer bis
dahin einzigartigen Operation entnahmen Spezialisten dem kleinen
Säugling Stammzellen und retteten damit dem vierjährigen Sohn
das Leben. Also beschlossen meine Eltern es genauso zu machen
und auch noch ein Kind zu zeugen. In der Hoffnung, dass das
Knochenmark dieses Babys kompatibel mit dem von Elizabeth sein
würde.«
Robert lachte hart
auf.
»Leider habe ich
sie bitter enttäuscht. Mein Knochenmark war in keinster Weise
mit dem meiner Schwester identisch. Zwei Jahre nach meiner
Geburt ist sie gestorben«, flüsterte er monoton.
Amy sah ihn
teilnahmsvoll an und berührte zart seine Hand. Robert ließ es
geschehen und verschlang seine Finger mit ihren.
»Von dem Zeitpunkt
an ließen meine Eltern mich jede einzelne Sekunde spüren, das
ich eigentlich gar nicht geplant war. Sie nahmen es mir mein
ganzes Leben lang übel, dass ich kein geeigneter Spender war.
Ich habe immer wieder versucht Dads Anerkennung zu bekommen.
Aber egal wie viel ich mich beim Football oder sonst irgendetwas
anstrengte, ich konnte es nie gut genug machen. Dads
Standardspruch war immer: Elizabeth hätte es bestimmt besser
gemacht. Aus ihr wäre einmal etwas ganz Besonderes geworden.
Aber ihr Bruder war ja nicht in der Lage ihr zu helfen.«
Verzweifelt
blinzelte er und versuchte die aufkommenden Tränen
zurückzuhalten. Das letzte was er jetzt wollte, war vor Amy zu
heulen. Er fühlte ihre warmen Finger in seiner Hand und drückte
sie hart. Mir der anderen Hand wischte er sich die nun doch
laufenden Tränen vom Gesicht und erzählte stockend weiter.
»Irgendwann gab
ich es schließlich auf, um seine Anerkennung zu betteln und
beschloss Arzt zu werden. In der Hoffnung das ich meine
Schuldgefühle bekämpfen und vielleicht den vielen anderen
Elizabeth auf der Welt helfen könnte. Aber jetzt halte ich den
verdammten Druck nicht mehr länger aus. Mit jedem Kind, das uns
auf der Station wegstirbt, aufgefressen von den Dämonen des
Krebses, breche auch ich mehr und mehr zusammen. Darum nehme ich
schon seit so langer Zeit die Tabletten. Sie nehmen mir die
Angst und helfen mir zu überleben«, flüsterte er tonlos.
Verzweifelt löste
er seine Hand aus der ihren, stand abrupt auf und ging ans Ende
der Terrasse.
Amy sah ihm
mitfühlend nach. Wie war es möglich, dass Eltern so gefühllos
und vernichtend mit ihrem eigenen Kind umgingen? Tränen rannen
ihr über das Gesicht und zu ihren eigenen Kummer mit Michael,
überkam sie jetzt eine unbezwingbare Wut auf Roberts Eltern. Sie
streifte die Decke von ihrem Schoss und stand auf.
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