Traeume aus der Ferne
Karrierefrau, da blieb nicht viel Zeit für eine Familie.
»Entschuldigen Sie bitte«, riss mich eine lächelnde Frau aus meinen Gedanken. Ich hatte gar nicht bemerkt, dass sie das Gespräch beendet hatte. »Sie sind bestimmt Frau Meyer«, fuhr sie scheinbar ungerührt von meinem Schweigen fort.
»Oh . . . ja, Meyer, Tina. Tina Meyer«, stotterte ich.
»Schön«, antwortete Frau Oswald, die sich sichtlich über mich amüsierte. »Ich bin Kathrin Oswald. Wollen wir an den Tisch da rüber? Da ist es bequemer.«
Ich nahm meine Unterlagen, die ich als Anschauungsmaterial mitgebracht hatte, und setzte mich an einen kleinen, runden Tisch im Büro. Ja, es war in der Tat gemütlicher als am Schreibtisch. Es gefiel mir, dass sie mich als gleichwertige Kollegin behandelte und nicht so abkanzelte, wie das viele Chefs gern taten, sobald sie die Karriereleiter ein Stück nach oben geklettert waren.
»Auf in den Kampf«, sagte sie und rieb sich dabei die Hände. Ich musste lächeln, da das mein Gedanke vor unserem ersten Gespräch heute morgen gewesen war. Doch es wurde alles andere als ein Kampf. Sie war eine aufmerksame Zuhörerin, machte sich Notizen und stellte Fragen, die selbst mich manchmal am Sinn und Unsinn dieses Papierkrams zweifeln ließen.
Zwanzig Minuten später packte ich meine Unterlagen zusammen und sah die Abteilungsleiterin fragend an. »Alles klar, oder haben wir noch was vergessen?«
Sie ließ sich seufzend nach hinten auf den Stuhl zurückfallen und schüttelte den Kopf. »Wie in aller Welt können Sie sich das alles merken?«
Ich lächelte etwas verlegen. »Ach, das ist doch nur mein Job. Wenn Sie jahrelang täglich damit zu tun haben, dann können Sie das in- und auswendig. Sie können mich nachts um zwei Uhr anrufen, und ich erzähle Ihnen, wie Sie Ihre Pauschale staffeln müssen.«
»Oh, danke für das Angebot.« Kathrin Oswald schenkte mir ein warmes Lachen, und in dem Moment wurde mir erst bewusst, was ich da eigentlich von mir gegeben hatte.
In meinem Kopf spielte ich Hunderte von Möglichkeiten durch, wie ich mich da wieder herauswinden könnte, doch ich wurde den Eindruck nicht los, dass alles, was ich jetzt sagen würde, nur noch peinlicher für mich werden würde.
»So sind wir Buchhalterinnen«, sagte ich schließlich leise.
»Ich kenne zwar nicht sehr viele Buchhalterinnen, aber Sie sind zweifelsohne eine sehr nette.«
Flirtete sie etwa mit mir? Etwas in ihren Augen ließ mich unruhig werden. Bisher hatte ich es vermieden, ihr in die Augen zu sehen. Aber nun blickte ich sie direkt an. Es lag kein Spott darin, kein Zeichen einer halbherzigen Schmeichelei. Ihre Augen waren ebenso warm und weich wie ihre Stimme, wie alles an ihr.
»Ich weiß nicht, was ich ohne Sie gemacht hätte. Ich hoffe, dass ich Sie nicht auch vergraule wie Ihre Kollegin.« Sie hatte einfach weitergesprochen, während ich noch ihre Augen analysierte. Dementsprechend schwer fiel es mir, mich jetzt auf ihre Worte zu konzentrieren.
»Oh, nein, Sie . . . Sie haben sie nicht vergrault. Wir haben nur etwas . . . eine Aufgabenumverteilung, wissen Sie?« Das würde sie mir nie abnehmen!
»Sie sind eine sehr schlechte Lügnerin, wissen Sie das?«
Wir lachten beide, und als ich ein paar Minuten später das Büro verließ, fühlte ich mich, als hätte ich eine Verbündete gefunden.
Ariane hatte nicht übertrieben. Kathrin Oswald schien tatsächlich mehr auf Geschäftsreisen als Zuhause zu sein. Ich hatte fast täglich mit ihren Abrechnungen zu tun und bedauerte dabei ein wenig, dass sie alle Formulare nun fehlerlos ausfüllte. Ich hätte gern einmal wieder mit ihr gesprochen, doch seit unserem ersten Treffen vor zwei Wochen hatten wir uns weder gesehen noch gesprochen.
Aber das sollte mir jetzt egal sein. Es war Freitag Nachmittag, und ich hatte Feierabend. Nicht, dass es einen besonderen Grund gäbe, sich auf das Wochenende zu freuen; schließlich hatte ich den neuesten Krimi längst verschlungen – und wer freute sich schon auf zwei einsame Tage –, aber immerhin musste ich nicht um sechs Uhr aufstehen und konnte den ganzen Tag nur für mich nutzen.
Auf dem Weg zu meinem Auto bemerkte ich, wie leer der Parkplatz bereits war. Am Freitag machte fast jeder in der Firma schon um zwölf Uhr Feierabend und raste Richtung Berge, um Ski zu fahren oder um dort zu kraxeln. Je nach Jahreszeit.
»Verdammte Mistkarre!«
Ich versuchte herauszufinden, woher diese Stimme kam, doch eine geöffnete Motorhaube
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